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VDE FNN
11.12.2024

Steuerung von Flexibilitäten

VDE FNN arbeitet seit Jahren aktiv an einem digitalen, flexiblen und weiterhin zuverlässigen Energiesystem. Um auch in Zukunft Erzeugung und Verbrauch stets im Einklang zu halten, wird die Steuerung von sogenannten „Flexibilitäten“, d.h. steuerbaren Verbrauchseinrichtungen, wie Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen oder auch Speicher mit Netzkoppelung sowie steuerbaren Erzeugungsanlagen, ein elementarer Bestandteil sein.

Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität

Die drastischen Folgen des Klimawandels haben Länder weltweit dazu bewegt, Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zu ergreifen, wie im Kyoto-Protokoll und im Pariser Klimaabkommen vereinbart wurde. Um diese Ziele zu erreichen, strebt Deutschland die Energiewende an. Damit einher geht der Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien. Bis 2030 wird das Ziel verfolgt, 80 Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken und bis 2045 soll dieser Anteil auf 100 Prozent steigen. Im Vergleich dazu: 2022 lag er bei 46 Prozent. Dies bedeutet eine zunehmende Elektrifizierung zahlreicher Lebensbereiche, die bisher von fossilen Brennstoffen abhängig waren, wie zum Beispiel der Mobilitäts- und Wärmesektor. Die Dekarbonisierung und Substitution fossiler Energieträger durch Strom führt zu einer deutlichen Erhöhung des Strombedarfs. Zeitgleich steigt die Komplexität des Systems durch eine steigende Anzahl an Akteuren, Schnittstellen und Betriebsmöglichkeiten. Auch die Stromerzeugung ändert sich grundlegend. Anstelle eines zentralen Energiesystems, welches von großen Kraftwerken mit hohen installierten Leistungen geprägt war, wird das Energiesystem der Zukunft zunehmend dezentral mit vielen kleinen Erzeugungsanlagen sein. Beispielsweise erfolgt die Stromerzeugung zukünftig hauptsächlich aus Erneuerbaren Energien, wie Solar- oder Windenergie, anstelle von Kohle- oder Atomkraft.

Kontakt
Frank Borchardt
Laura Woryna
Vasilina Iankovskaia

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Die Rolle der intelligenten Messsysteme

Ziel ist es, die zahlreichen Flexibilitäten der Energiewende nicht nur zu integrieren, sondern durch Digitalisierung des Verteilnetzes intelligent zu steuern. Intelligente Messsysteme inklusive Steuerungseinrichtungen nehmen hierbei eine Schlüsselrolle ein. 

Die Umsetzung der Steuerung über intelligente Messsysteme ist vielschichtig. Die notwendige Steuerungs-Hardware muss zur Verfügung stehen, entsprechende Prozesse beim Verteilnetzbetreiber, Messstellenbetreiber und weiteren Marktrollen müssen Ende-zu-Ende gedacht werden. Hierzu sind beispielsweise interoperable Schnittstellen essenziell. Außerdem muss es Konzepte geben, welche Marktrolle wann und wie steuerungsberechtigt ist. Grundlage für die technische Umsetzung ist selbstverständlich ein verlässlicher regulatorischer Rahmen, wobei in diesem Zusammenhang die Ausgestaltung von § 14a EnWG durch die Bundesnetzagentur von entscheidender Bedeutung ist.

An all diesen Herausforderungen erarbeiten diverse Projektgruppen im VDE FNN Lösungsvorschläge, um das gemeinsame Zielbild des Energiesystems 2030 Realität werden zu lassen.


Notwendigkeit von Steuerungsmaßnahmen in der Niederspannung

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VDE FNN

Die Energiewende führt zu grundlegenden Veränderungen im Stromsektor, sowohl auf der Erzeugungs- als auch auf der Verbrauchsseite. Der Verkehrssektor und Wärmesektor sollen zukünftig „dekarbonisiert“, also CO2-frei, werden. Anstelle von Diesel- oder Benzinmotoren sollen Elektromotoren im Verkehr eingesetzt werden und auch die Wärmeversorgung wird zukünftig hauptsächlich über Strom (z.B. Wärmepumpen) erfolgen. Das bedeutet, dass Strom andere Energieträger substituiert. Dieser Wandel wird auch von der Politik fokussiert und entsprechend gefördert. Bei Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen handelt es sich um steuerbare Verbrauchseinrichtungen, da sie ihren Leistungsbezug zeitlich flexibel verschieben können. Sie werden daher auch Flexibilitäten genannt. Beispielsweise können Elektrofahrzeuge in der Nacht laden und sind morgens dennoch vollständig geladen.

Diese Veränderungen auf Verbraucherseite führen somit zu einem sprunghaft steigenden Leistungsbedarf. Dem gegenüber steht der mögliche physische Netzausbau, der nicht so sprunghaft erfolgen kann. Es wird vermutlich der Tag kommen, an dem der zusätzliche Leistungsbedarf die mögliche Anschlussleistung der Verteilnetze übersteigen wird.

Durch die intelligente Steuerung von Flexibilitäten, z.B. in lastschwache Zeiten und somit der Verringerung des Gleichzeitigkeitsfaktors, kann die Anschlussleistung des Verteilnetzes erhöht und somit in Summe mehr steuerbare Verbrauchseinrichtungen angeschlossen werden.

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Der regulatorische Rahmen muss gegeben sein

Die Grundlage für die Steuerung ist der Rollout intelligenter Messsysteme, der im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) vorgegeben wird. Mit dem „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW)“ gab es 2023 einen neuen klaren Rechtsrahmen. Ende 2024 ist jedoch erneut eine umfangreiche Novelle des MsbG geplant.

Die Steuerung von Flexibilitäten muss klaren Regeln folgen. Nachdem der erste Versuch diesen Rechtsrahmen zu schaffen, Anfang 2021 mit dem sogenannten „Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz“ scheiterte, vergingen fast zwei Jahre, bis die Bundesnetzagentur (BNetzA) die Festlegungskompetenzen für die Ausgestaltung des Paragrafen 14a EnWG erhalten hat. Die BNetz veröffentlichte die Festlegung zur Ausgestaltung des Paragrafen 14a EnWG (BK6-22-300) am 27. November 2023, die vorsieht, dass steuerbare Verbrauchseinrichtungen (SteuVE) und Energie-Management-Systeme (EMS) im Falle einer kritischen Ausgangssituation des vorgelagerten Niederspanungsnetzes ihren netzwirksamen Leistungsbezug entsprechend den Vorgaben des Verteilernetzbetreibers (VNB) reduzieren müssen. Im Beschluss der BNetzA ist dabei unter der sogenannten „Tenorziffer 2“ vorgesehen, dass Netzbetreiber Empfehlungen nach dem Stand der Technik erarbeiten, um eine standardisierte und massengeschäftstaugliche Umsetzung der netzorientierten Steuerung zu ermöglichen. Fristgerecht am 1. Oktober 2024 hat VDE FNN mit drei Hinweisen die bundeseinheitlichen Empfehlungen nach dem Stand der Technik zu den Tenorziffern 2 a, b und c vorgelegt. VDE FNN definiert Anforderungen an Schnittstellen für Steuerbefehle (Tenorziffer 2a); Mindestanforderungen für Dokumentation von Steuerbefehlen (Tenorziffer 2b) sowie Parameter für An- und Rücknahme von Störungen (Tenorziffer 2c). Die bundeseinheitlichen Empfehlungen nach dem Stand der Technik zu den Tenorziffern 2 e, f und g folgen am 1. Januar 2025. 

Ebenfalls von Bedeutung ist der sogenannte Universalbestellprozess, der die Bestellung von Steuerungshandlungen über Marktkommunikation festlegt.

Weitere wichtige Rahmenbedingungen sind die Technischen Richtlinien TR-03109-1 und TR-03109-5 des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Die TR-03109-1 definiert Anforderungen für ein Smart-Meter-Gateway, während die TR-03109-5  Mindestanforderungen an Kommunikationsadapter im HAN des SMGW beschreibt.

VDE FNN begleitet den regulatorischen Prozess sowie das Konsultationsverfahren seitens BNetzA und BSI aktiv mit seiner technischen Expertise. Unsere Positionspapiere dazu nachfolgend.

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Mindestanforderungen an für ein modulares, interoperables, herstellerunabhängiges und sicheres Messsystem

Grundvoraussetzung für eine funktionierende Steuerung von Flexibilitäten über intelligente Messsysteme ist die Technik. Basiszähler, Smart Meter Gateway und Steuerbox müssen modular aufeinander aufbauen und herstellerübergreifend, das heißt interoperabel, einsetzbar sein. VDE FNN erarbeitet unter anderem Lastenhefte für den Basiszähler, das Smart-Meter-Gateway und die Steuerbox. Auf Grundlage dieser Lastenhefte entwickeln Hersteller ihre Geräte. Für die Administration von Steuerboxen werden Leitplanken und konkrete Umsetzungsempfehlungen im VDE FNN Hinweis „Steuerbox-Administrator“ gegeben.


Die netzorientierte Steuerung nach Paragraf 14a EnWG

Steuerungshandlungen können grundsätzlich in marktorientiert und netzorientiert unterschieden werden. Marktliche Flexibilität erfolgt durch Lieferanten auf Basis von Verträgen mit Endkunden, meist basierend auf Preisanreizen und zur Optimierung der eigenen Anlage. Netzorientierte Steuerung hingegen wird vom Verteilnetzbetreiber initiiert, um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten, wonach er nach § 11 des Energiewirtschaftsgesetzes verpflichtet ist.

Die netzorientierte Steuerung, auch als kurativ bezeichnet, dient als Notfallinstrument („Ultima Ratio“) des Verteilnetzbetreibers, um die sichere Netzführung weiterhin zu gewährleisten. In diesem Fall müssen steuerbare Verbrauchseinrichtungen ihren Leistungsbezug für einen gewissen Zeitraum einschränken. Die Niederspannungsnetze werden durch zahlreiche neue Verbrauchseinrichtungen, u.a. Wärmepumpen und Ladeeinrichtungen für Elektromobile, deutlich höher ausgelastet und können im Fall eines hohen Strombezugs („Leistungsspitzen“) über ihre ausgelegte Kapazität hinaus belastet werden. Netzausbaumaßnahmen nehmen zum Teil sehr viel Zeit in Anspruch, sodass durch eine zeitlich begrenzte, gezielte Steuerung die Leistungsspitzen gedämpft und somit die temporäre Überlastung der noch nicht ausgebauten Niederspannungsnetze vermieden werden kann.

Der regulatorische Rahmen hierzu ist die Festlegung der Bundesnetzagentur BK6-22-300 zur Integration von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen, welche das Steuern seit 1. Januar 2024 praktisch möglich macht. Grundsätzlich werden bei der netzorientierten Steuerung fünf Schritte durchlaufen. VDE FNN hat diesen Gesamtprozess stets im Blick, denn das oberste Ziel ist ein funktionierender Prozess: Ende zu Ende.
Bei der Etablierung dieses neuen Instrumentes für den Netzbetrieb fehlt jedoch vielen Unternehmen sowohl der Überblick über die Regularien als auch ganz praktische Berechnungstools. Hier unterstützt der VDE FNN Hinweis „Netzbetrieb mit Flexibilitäten“ konkret und praxisnah und fördert das gemeinsame Verständnis für Möglichkeiten und Abhängigkeiten bei der Steuerung.

Netzorientierte Steuerung
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Kupfer mit Köpfchen – Intelligenz nutzen

Neben dem kurativen Noteingriff des Verteilnetzbetreibers im Fall von akuten Engpässen im Niederspannungsnetz nach § 14a EnWG arbeitet VDE FNN bereits seit 2013 an Konzepten, die eine optimale Auslastung des vorhandenen Stromnetzes durch präventive, d.h. vorausschauende, Steuerungsmaßnahmen forcieren. Ziel ist, basierend auf prognostizierten Netzengpässen mit Hilfe des Einsatzes von bspw. organisatorische Instrumente, das Entstehen von Engpässen zu vermeiden. Dadurch kann der für Endkunden verpflichtende kurative Eingriff des Netzbetreibers vermieden werden. Als zentraler Bestandteil des vorausschauenden Steuerns wurde in den Gremien des VDE FNN die sogenannte Koordinierungsfunktion (KOF) entwickelt.

Langfristig ist VDE FNN überzeugt, dass durch das Nutzen von Steuerungsmöglichkeiten, ein volkswirtschaftlich optimierter Netzausbau erreicht und damit der derzeit angestrebte Ausbau des Stromnetzes zur unwirtschaftlichen und technisch quasi unmöglichen „Kupferplatte“ vermieden werden kann. Dies bedeutet nicht, dass Netzausbau grundsätzlich vermieden oder verhindert werden soll, sondern sich Netzausbau und Intelligenz ergänzen.

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VDE FNN Gesamtkonzept ermöglicht präventives und kuratives Steuern

Anfang Oktober 2022 hat VDE FNN hierfür den Impuls „Gesamtkonzept zur Steuerung mit intelligenten Messsystemen“ veröffentlicht. Dieses zeigt auf, wie die Steuerung von mehreren Millionen Flexibilitäten in Zukunft über intelligente Messsysteme umgesetzt werden kann. Das Zielbild ist hierbei die Steuerung am digitalen Netzanschlusspunkt, keine Steuerung von Einzelanlagen. Eine Steuerung ermöglicht, das Netz effizient auszulasten, Erzeugung und Verbrauch aufeinander abzustimmen sowie Speichermöglichkeiten zu integrieren. Die Koordinierungsfunktion als zentraler Bestandteil soll in dem Konzept präventiv dafür sorgen, dass das Stromnetz nicht durch unkoordinierte Steuerungshandlungen von Lieferanten überlastet wird.

Die regulatorischen Entwicklungen sehen derzeit eine Koordination beim Verteilnetzbetreiber nicht vor. Stattdessen soll der Markt frei agieren und der Netzbetreiber kann im Fall einer detektierten Netzüberlastung kurativ eingreifen. Steuerungsbefehle des Netzbetreibers sind hierbei in einer FNN Steuerbox immer höher priorisiert.

VDE FNN überarbeitet derzeit das Gesamtkonzept und prüft Lösungen, präventive Instrumente dennoch perspektivisch zu realisieren. Ein Ausblick auf mögliche vorausschauende Steuerungsmaßnahmen wird im zweiten Teil des VDE FNN Hinweises „Netzbetrieb mit Flexibilitäten“ gegeben.

Systemarchitektur für die Steuerung über intelligente Messsysteme

Für die zielgerichtete Umsetzung der Steuerung von Flexibilitäten über intelligente Messsysteme hat VDE FNN eine Systemarchitektur sowohl für langfristige als auch für kurzfristige Steuerbefehle entwickelt, auf dem die Aktivitäten der Projektgruppen aufbauen.

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