Balanceakt im Verbundnetz
Im europäischen Verbundnetz beträgt die Standardfrequenz 50 Hz. Diese bleibt jedoch nur dann stabil, wenn die Balance zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch zu jedem Zeitpunkt gehalten wird. Das gilt auch bei sprunghaften Verbrauchsänderungen oder bei einem unerwarteten Kraftwerksausfall. Es wird grundsätzlich versucht, eine stabile Frequenz über die Bewirtschaftung der einzelnen Bilanzkreise zu erhalten. Verantwortlich für die Frequenzhaltung des Gesamtsystems ist der Übertragungsnetzbetreiber.
Maßnahmen zur Frequenzhaltung sind:
- Momentanreserve
- Regelleistung
- Steuerbare Lasten
- Wirkleistungsreduktion
- Lastabwurf
Momentanreserve - Trägheit der rotierenden Masse sorgt für kurzfristige Stabilisierung des Netzes:
Im bisherigen Netzbetrieb steht dem Übertragungsnetzbetreiber bei kurzfristigem Leistungsausfall die Momentanreserve konventioneller Kraftwerke zur Verfügung. Die Trägheit der rotierenden Massen der Kraftwerksgeneratoren wirkt automatisch kurzzeitig dem Leistungsungleichgewicht entgegen und stabilisiert so die Frequenz. Durch die Schwungmassen ist eine feste physikalische Kopplung zwischen Leistungsgleichgewicht und Frequenzänderung gegeben.
Regelenergie
Bei einem Ungleichgewicht zwischen Last und Erzeugung kommt Regelenergie zum Ausgleich dieses Ungleichgewichts zum Einsatz. Je nach Richtung des Ungleichgewichts, wird positive (Erzeugung < Last) oder negative Regelenergie (Erzeugung > Last) benötigt. Kommt es zum Beispiel unerwartet zu einer Windflaute und fällt deshalb ein Teil der Erzeugung aus, kann der Übertragungsnetzbetreiber positive Regelenergie aktivieren. Vorher hierfür vertraglich festgelegte Erzeugungsanlagen erhöhen dann automatisch ihre Leistung. Im Umgekehrten Fall (z.B. lokaler Stromausfall und damit verbunden der Wegfall von Verbrauchern) werden Erzeugungsanlagen runter gefahren oder flexible Verbraucher erhöhen ihre Stromentnahme.
Beschaffung und Arten der Regelenergie
Die Beschaffung der Regelenergie erfolgt in drei unterschiedlichen Produkten über ein marktbasiertes Auktionsverfahren (Regelenergiemarkt). Die Marktteilnehmer müssen im Vorhinein nachweisen (Präqualifikation), dass sie grundsätzlich in der Lage sind Regelenergie am Markt bereitstellen zu können.
Die Primärregelleistung sorgt für eine schnelle Anpassung der Erzeugungsleistung und dient auf diese Weise zur Verhinderung weiterer Frequenzabweichungen. Die gesamte Menge der Primärenergie muss innerhalb von 30 Sekunden bereitgestellt werden. Im europäischen Verbundnetz wird mit einer notwendigen Primärregelleistung in Höhe eines Leistungssprungs von 3000 MW kalkuliert. Dieser Wert entspricht etwa der Erzeugungsleistung von zwei großen Kraftwerksblöcken. Die 3000 MW werden im europäischen Netz auf die jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber aufgeteilt.
Die Sekundärregelleistung tritt spätestens 15 min nach der Primärregelung zur Ablösung in Kraft und sorgt für die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Erzeugung und Verbrauch.
Im darauffolgenden Schritt wird die Minutenreserve aktiviert, um länger andauernde Abweichungen zwischen Erzeugung und Verbrauch zu verhindern und die vorher aktivierten Regelleistungen für eventuelle weitere Vorkommnisse zur Verfügung zu stellen.
Weitere
Weitere Maßnahmen zur Frequenzhaltung liegen unter anderem darin, vertraglich vereinbarte Lasten flexibel zu- oder abzuschalten und bei Über- oder Unterfrequenz die Wirkleistungseinspeisung Erneuerbarer Energie- oder Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen zu regeln. Als letzte mögliche Aktion erfolgt der frequenzabhängige Lastabwurf, bei dem eine automatisierte Trennung der Verbraucher vom Netz bzw. eine Drosselung der Einspeiser durchgeführt wird.
Zukünftige Herausforderungen
Erneuerbare Energien speisen ihren Strom anders als die konventionellen Kraftwerke über Wechselrichter ins Netz ein. Aus diesem Grund tragen sie derzeit nicht zur Bereitstellung von Momentanreserve bei. Um auch zukünftig in einem wechselrichterbasierten System auf Beiträge zur Momentanreserve zurückgreifen zu können, müssen alternative Bereitstellungsarten im Verbundnetz gefunden werden.
Auch beim Bedarf von Regelleistung wird es durch die erneuerbaren Anlagen zu Änderungen kommen. In der Zukunft werden häufiger Situationen auftreten, in denen die Stromeinspeisung aus Erneuerbaren den Stromverbrauch übersteigt. Konventionelle Kraftwerke zur Regelleistungsbereitstellung stehen dann nicht mehr bereit. Um die Systemintegration der erneuerbaren Anlagen voranzutreiben und keine konventionellen Kapazitäten zur Regelleistungsbereitstellung vorhalten zu müssen, gilt es, Lösungen umzusetzen, die Regelleistung aus dezentralen Anlagen, flexiblen Lasten und Stromspeichern ermöglichen.