Redakteure
Dr.-Ing. Sebastian Dierkes, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Albert Moser, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft
Redakteure
Dr.-Ing. Sebastian Dierkes, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Albert Moser, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft
Die Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien im Zuge der Energiewende in Deutschland führt zu veränderten Anforderungen an die Planung und den Betrieb sicherer und zuverlässiger elektrischer Verteilnetze. Durch die Integration von Anlagen auf Basis erneuerbarer Energien (EE-Anlagen) in die Verteilnetze werden die Netze vermehrt an ihrer Kapazitätsgrenze betrieben. Für die Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit elektrischer Verteilnetze bei zunehmender Integration erneuerbarer Energien kann eine konventionelle Verstärkung des elektrischen Netzes durch zusätzliche Primärtechnik erfolgen. Zur Planung und Umsetzung eines effizienten Netzausbaus muss die Versorgungsaufgabe allerdings hinreichend genau für einen Zeitraum über mehrere Jahre prognostizierbar sein, was bedingt durch den freien Netzzugang dezentraler Erzeugungsanlagen mit Unsicherheiten behaftet ist. Daher denken Netzbetreiber neben dem konventionellen Netzausbau zunehmend über innovative Betriebsmittel und Betriebskonzepte nach. In unterschiedlichen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ein Netzausbau für die Aufnahme sämtlicher erneuerbarer Energien bis zur letzten Kilowattstunde nicht immer sinnvoll ist.
Nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz sind die Verteilnetzbetreiber verpflichtet, die Netzkapazität so zu erweitern, dass eine Abnahme und Verteilung elektrischer Energie aus EE-Anlagen stets sichergestellt ist. Die Auslegung der Netzbetriebsmittel muss bei hoher Durchdringung mit EE-Anlagen zunehmend an deren installierter Leistung orientiert werden. Da typische Jahresganglinien von EE-Anlagen eine geringe Anzahl Stunden mit hohen Einspeisungen zeigen, wären teilweise Netzausbaumaßnahmen für nur seltene Netznutzungsfälle erforderlich. Überlegungen, die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Erweiterung der Netzkapazität einzuschränken, finden sich im Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz). Hierin ist vorgesehen, von der bisherigen Verpflichtung der Verteilnetzbetreiber zur vollständigen Abnahme von elektrischer Energie aus EE-Anlagen abzuweichen und bei der Planung von Verteilnetzen eine Spitzenkappung um bis zu 3 % der eingespeisten Jahresenergie von Solar- und Windenergieanlagen in der selbigen Spannungsebene im Rahmen der Netzplanung zu ermöglichen.
Für eine Spitzenkappung sind in der Theorie unterschiedliche Konzepte denkbar. Bei einer pauschalen Spitzenkappung wird die maximal erlaubte Einspeiseleistung dezentraler Erzeugungsanlagen in Bezug zur installierten Leistung begrenzt. Durch ein solches Konzept wird auch in den Stunden hoher Einspeisung, in denen technisch keine Abregelung der EE-Anlagen erforderlich ist, die Leistung begrenzt und erneuerbare Energie nicht eingespeist.
Dies kann durch selektive Spitzenkappungskonzepte vermieden werden. Hierzu wird bei einem situationsbezogenen selektiven Spitzenkappungskonzept dezentraler Erzeugungsanlagen das Ziel verfolgt,
abzuregeln. Bei der Gestaltung von Spitzenkappungskonzepten muss neben der technischen Effizienz der für eine Umsetzung benötigte Aufwand im Hinblick auf benötigte Sekundärtechnik und Informations-/Kommunikationstechnik sowie die Integration in die Systemführung berücksichtigt werden. Während sich eine simple Gestaltung positiv auf die Umsetzbarkeit auswirkt, ergeben sich gegenüber einem selektiven Spitzenkappungskonzept möglicherweise Ineffizienzen im Sinne einer höheren Anlagenabregelung und damit nicht nutzbaren erneuerbaren Energie.
Mit der Einführung einer Spitzenkappung kann die insgesamt in die Verteilnetze integrierbare elektrische Leistung aus EE-Anlagen erhöht und die Netzbetriebsmittel effizienter ausgelastet werden. Bislang ist nicht geklärt, wie Spitzenkappungskonzepte effizient ausgestaltet werden können und wie sehr dadurch die Netzkapazität der Verteilnetze erhöht werden kann.
Eine vom Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft der RWTH Aachen University (IAEW) für die EWE AG durchgeführte probabilistische Untersuchung belegt die technische Effizienz einer selektiven Spitzenkappung, siehe Bild 1. Die installierte Leistung von EE-Anlagen in deutschen Mittel- und Niederspannungsnetzen wird schrittweise bis zu einer Verdoppelung erhöht, nachdem das erste Mal ein Netzengpass (Verletzung thermischer Grenzströme oder Spannungsbandverletzungen) aufgetreten ist. Die Grafik zeigt den Anteil der deutschen Mittel- und Niederspannungsnetze, für die unter Berücksichtigung einer selektiven Spitzenkappung der Netzausbau verschoben bzw. vermieden werden kann. In windgeprägten Regionen kann der Netzausbau in rund 2/3 der Netze verschoben bzw. vermieden werden. Es ist darüber hinaus ein Unterschied zu photovoltaikgeprägten Regionen aufgrund der abweichenden Durchdringung je Spannungsebene zu erwarten, wo die Spitzenkappung eine geringere Effizienz aufweist. Gegenstand aktueller Forschungen ist eine vollständige Kosten-Nutzen-Analyse von Spitzenkappungskonzepten gegenüber einem konventionellen Netzausbau.