01.01.2013 Mitgliederinformation

Die Wirtschaftlichkeit von Smart Grids erfordert Smart Markets

1. Die Smart Grid Vision der Europäischen Union

Die Smart Grid Vision wurde in den Jahren 2004 – 2008 im Rahmen des europäischen Expertengremiums „Advisory Council for the technology platform of the European electricity networks of the future“ entwickelt. Mit der Prägung des Begriffes wurde auch die Definition gegeben (www.smartgrids.eu):
Ein Smart Grid ist ein elektrisches Netz, das die Aktionen aller angeschlossenen Nutzer – Erzeuger, Verbraucher, Speicher –intelligent koordiniert um Effizienz in der nachhaltigen, ökologischen, wirtschaftlichen und zuverlässigen Stromversorgung zu gewährleisten.
Mit dieser Definition wird deutlich ausgedrückt, dass das Netz perspektivisch zur Erreichung von Effizienz mit den Marktteilnehmern wie Erzeuger, Verbraucher und Speicher kooperiert. Marktaktivitäten und Netzoperationen können künftig im Sinne von Smart Grid also nicht mehr getrennt betrachtet werden. Dieser ursprüngliche Ansatz wird heute oft vernachlässigt.

Kontakt
Dr. Bernd Michael Buchholz

Bild 1: Paradigmenwechsel im Verteilnetzbetrieb

2. Perspektiven der Netzführung

Mit dem Ausbau regionaler teils wetterabhängiger Stromerzeugung und dem Anschluss neuer Lasttypen wie E- Mobile, Wärmepumpen oder Klimaanlagen kommen starke Belastungen hinsichtlich möglicher Überspannungen und Überlastungen auf die Verteilungsnetze zu. Anstelle der bisher in der Regel bekannten Leistungsflüsse „top down“ wird es stark schwankende bidirektionale Leistungsflüsse geben, wie in Bild 1 gezeigt.

Es stellt sich da die Frage, sind die Netze für alle möglichen wenig wahrscheinlichen und nur kurzzeitig auftretenden Bedingungen mit hohem Investitionsaufwand auszulegen? Oder gibt es durch Koordination von Netzbetrieb und Marktaktivitäten wirtschaftlichere Lösungen zur Erhaltung der Versorgungsqualität?
In Tabelle 1 wird die Möglichkeit der Marktakteure aufgezeigt, den Netzbetrieb zu unterstützen. Die effiziente Stromversorgung der Zukunft wird also durch eine Wechselwirkung zwischen Netz- und Marktakteuren zu gestalten sein.

 

Tabelle 1: Markt- und Netzeinflüsse neuer Funktionen

Das kann insbesondere durch die Aufteilung des Gesamtsystems in der Verteilungsebene in kleinere, sich selbst regelnde „ Smart Supply“- Zellen, wie in Bild 2 dargestellt, erreicht werden. In diesem Sinne wird der Überbegriff Smart Supply wie folgt definiert:
Smart Supply bezeichnet eine Systemmethode zur intelligenten Koordinierung von Netzoperationen und Marktaktivitäten unter Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) um wirtschaftliche Vorteile für alle Akteure des Strommarktes – Verteilnetzbetreiber, Erzeuger, Händler, Konsumenten, Speicherbetreiber und IKT-Serviceanbieter zu generieren.

Bild 2: Zellularer Ansatz zur künftigen Netzführung

In den Smart Supply- Zellen werden regionale Smart Markets und Smart Grids koordiniert operieren. Zur Unterstützung der Regelzonen bilden die Smart Supply – Zellen geschlossene Bilanzkreise, die durch die Fahrplanerstellung der Händler, virtueller (VKW) und autonomer Kraftwerke sowie durch steuerbare (DSM – Demand Side Management) und beeinflussbare (DSR – Demand Side Response) Lasten und Speicher getragen werden. Fahrplanabweichungen aufgrund von Prognoseabweichungen können entweder wirtschaftlich vorteilhaft selbst ausgeregelt werden oder sind in Verantwortung des Bilanzkreises durch Zukauf von Regelreserven des lokalen oder externen Angebots zu kompensieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich diese Zellen autonom versorgen. Die überlagerten Netze werden auch bei hohen Anteilen verteilter Erzeuger ihre Bedeutung erhalten bzw. noch verstärken, wie in [1] nachgewiesen wurde.

3. Vision einer perspektivischen Marktordnung

3.1 Marktintegration erneuerbarer Erzeuger

Heute fördert das Erneuerbare Energiegesetz EEG die privilegierte Einspeisung von regenerativen Erzeugern in das Netz mit fixer Vergütung, Einspeisungsvorrang und Befreiung vom Merit-Order-Prinzip sowie der Bilanzierungspflicht. Diese Praxis ist zur Anlaufförderung und bei einem geringen Anteil der regenerativen Energie am Gesamtaufkommen vertretbar und hat für einen stürmischen Ausbau der regenerativen Erzeugung in Deutschland geführt. Es wird aber durch diese Privilegien des EEG ein stetig wachsender Anteil der Energieproduktion aus der direkten Marktteilnahme herausgehalten. Bei einem weiteren planmäßigen Anstieg des regenerativen Anteils am Nettostromverbrauch von 35 % (2020), 50 % (2030) und sogar 80- 90 % (2050) ist es Zeit, die regenerative Erzeugung schrittweise in den Markt zu integrieren, um einen Zielzustand zu erreichen, bei dem:

Alle Erzeuger einschließlich der regenerativen Erzeuger verpflichtet sind, zu bilanzieren und am Fahrplanmanagement mit allen Konsequenzen teilzunehmen (u.a. Kostenübernahme für Regelenergie bei Fahrplanabweichung).
Die fixe Einspeisevergütung durch Marktpreisvergütung abgelöst wird.

Mögliche Übergangsszenarien zur Einhaltung der rechtlichen Vergütungsverpflichtungen sind in [1] beschrieben.
Mit der Verpflichtung zur Bilanzierung wird es für Kleinerzeuger auch vorteilhaft, in den Verbund eines „Virtuellen Kraftwerks“ (VKW) beizutreten , um mittels Aggregation von Kleinerzeugern, Speichern und steuerbaren Lasten die Bilanzierung und die Optimierung der Teilnahme an verschiedenen Märkten (Strom, Wärme, Systemdienste, CO2-Zertifikate) zu gewährleisten.

3.2 Entwicklung von Stromerzeugungspreisen und Tarifen

In den kommenden Jahren wird es zu Kostensteigerungen der fossilen Stromerzeugung aus drei Gründen kommen:

Die Zahl der jährlichen Vollaststunden geht aufgrund des Vorrangs regenerativer Erzeugung deutlich zurück.Die Preise für fossile Brennstoffe steigen weiter an.
Die Kosten für CO2-Zertifikate fallen ins Gewicht.

Andererseits wird erwartet, dass die Kosten für regenerative Erzeugung aufgrund von Technologieverbesserungen und Volumeneffekten deutlich sinken.
Basierend auf solchen Recherchen (u. a. [2] – fossil und [3] - regenerativ) wurden in [4] zur Berechnung eines Fallbeispiels die in Tabelle 2 vorgestellten Preisentwicklungen für das Jahr 2030 angenommen.

Diese Werte erheben keinen Anspruch auf Belastbarkeit. Sie können nur als ein erster Ansatz für eine Fallbeispielbetrachtung gesehen werden, um damit ein Gefühl für den sich ändernden Markt zu entwickeln.

Tabelle 2: Strompreisannahmen für das Jahr 2030

Aufgrund der angenommenen Preisentwicklung (ohne Inflation) wird sich die Auffüllung der Last¬profile nach dem Merit-Order-Prinzip signifikant ändern. Bild 3 stellt die Änderungen dar. Die Priorität der Einspeisung regenerativer Energie wird nicht mehr durch das EEG fixiert, sondern ergibt sich aus den Angebotspreisen.

Bild 3: Lastdeckung heute und künftig (2030)

Am Markt wird der Strompreis für jede Stunde aus dem Angebot des teuersten Anbieters bestimmt, der zur Lastabdeckung in den Fahrplan aufgenommen wird.
Regenerative Erzeuger in der Grundlast können insbesondere in Starklastzeiten bei Einsatz von Gasturbinen auf dieser Basis gute Gewinnmargen erwirtschaften. In Kombination mit elektrischen Spei¬chern können die Gewinnmargen verbessert werden, indem in der Nacht überschüssige volatile Energie gespeichert und zur Starklast wieder ausgespeist wird. KWK-Anlagen können ihr Ergebnis durch tageszeitvariablen Einsatz am Strommarkt verbessern ohne dass die geforderte Wärmebereitstellung aufgrund von Wärmespeichern eingeschränkt wird.

Die entsprechende Optimierung koordiniert das VKW für seine Teilnehmer.
Bei der Tarifbildung für Endkonsumenten bilden die Strompreise die eine dynamische Komponente der Tarife. Die andere dynamische Komponente können künftig variable Netzentgelte (Niederspannungsebene) sein. Unter der Annahme, dass die Mittelwerte der Netzentgelte für Niederspannungsabnehmer sich bei 8 Ct/kWh einpendeln und Ausschläge je nach Netzlast von 3-12 Ct/kWh auftreten können, lassen sich nach heutigem Schema unter Berücksichtigung der verschiedenen Steuern und Zuschläge (aber ohne EEG- Umlage) die in Bild 4 dargestellten Tarifwerte einer Jahreslastprofildeckung mit 50 % regenerativer Erzeugung (2030) abbilden.

Bild 4. Tarifspreizung gemäß Energiemix für das Jahr 2030

Diese nach heutiger Tarifbildung aber mit variablen Netzentgelten auf Niederspan¬nungseite estimierten Haushaltstarife sind auch keine belastbaren Werte, denn auch hier kann niemand heute voraussagen, wie sich Tarifstrukturen und Preise in 20 Jahren ändern. Mit diesen Werten aber ist es möglich, Geschäftsmodelle quantitativ zu untersetzen, um grobe Trends abzuleiten. Zum Beispiel stützt die ermittelte Spreizung zwischen niedrigstem Tarif von 14,3 Ct/kWh ( grün, 56 h/a, Sommernacht, nur Wind und Wasser) und maximalem Tarif von 46,6 Ct/kWh (1400 h/a, Winterspitze mit Gasturbineneinsatz), bzw. 58,4 Ct/kWh (rot, 22 h/a, bei Berück¬sichtigung von teuren Importen) die Überzeugung, dass fühlbare Anreize für Lastverschiebungen im Sinne DSR möglich werden und künftig eine wichtige Rolle auch für das Netz spielen.

4. Geschäftsmodelle im künftigen Strommarkt

Im künftigen Markt werden sich neue Dienstleistungen insbesondere im IKT- Bereich etablieren. Sie werden sich durchsetzen können, wenn sie auf wirtschaftlichen Geschäftsmodellen basieren und ebenso zur Wirtschaftlichkeit ihrer Nutzer beitragen. Entsprechende Geschäftsmodelle sind in [4] diskutiert. Auf der Basis einer Aufwand- Nutzen- Analyse aus den Erfahrungswerten des europäischen Pilotprojektes Web2Energy (www.web2energy.com) wurde in [5] gezeigt, dass die Marktakteure unter der Bedingung einer flexiblen Marktordnung bei 10 Jahren Rückfluss der Investitionen mit Gewinn am Markt agieren können.
Aber auch für die Stromkunden können sich aus den dynamischen Tarifen Vorteile ergeben. Heute ist häufig unklar, wie hoch denn die Tarife für die Endkonsumenten steigen. Aber wenn sich die Stromkunden marktgerecht verhalten und Verbräuche, die nicht die Lebensgewohnheiten beeinträchtigen in Niedrigtarifzeiten verschieben, dann lassen sich die Jahreskosten sogar senken. Ein Versuch mit 200 Pilotkunden [4] zeigte, dass die Konsumenten bereit sind, aktiv am Strommarkt teilzunehmen, wenn für sie die Zusammenhänge von Tarif, Verbrauch und Kosten sichtbar werden. Die aktivsten Teilnehmer konnten dabei bis zu 26 % Stromkosten einsparen. Für die Umsetzung solcher Ergebnisse in der Breite bedarf es aber des Einsatzes von Hausautomatisierung.

5. Literatur

[1] Smart Distribution 2020. Virtuelle Kraftwerke in Verteilungsnetzen. Technische, regulatorische und kommerzielle Rahmenbedingungen. VDE/ETG – Studie 2008. www.vde.com
[2] VDE /ETG– Studie: Erneuerbare Energie braucht flexible Kraftwerke – Szenarien bis 2020. April 2012. www.vde.com
[3] Energiekonzept 2050. Eine Vision für ein nachhaltiges Energiekonzept. Forschungsverbund Erneuerbare Energien, Juni 2010
[4] V. Bühner, B. M. Buchholz, A. Probst. Dienstleistungen für Smart Grids und Smart Markets. VDE- Kongress 2012: Smart Grid – Intelligente Energieversorgung der Zukunft. Stuttgart, 5.-6. November 2012

Das könnte Sie auch interessieren