21.01.2005 Frankfurt Fachinformation

Kernfusion - Stand und Perspektiven

Die Energiequelle von Sonne und Sternen auf der Erde nutzbar zu machen, ist das Ziel der Fusionsforschung: Ein Fusionskraftwerk soll aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Unter irdischen Bedingungen gelingt dies am einfachsten mit den beiden Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Sie verschmelzen zu Helium, dabei werden Neutronen frei sowie große Mengen von Energie: Ein Gramm Brennstoff könnte in einem Kraftwerk 90.000 Kilowattstunden Energie freisetzen - die Verbrennungswärme von 11 Tonnen Kohle. Die für den Fusionsprozess nötigen Grundstoffe - Deuterium und Lithium, aus dem im Kraftwerk Tritium hergestellt wird - sind in nahezu unerschöpflicher Menge überall auf der Welt vorhanden: Zwei Liter Wasser und ein halbes Pfund Gestein enthalten die Rohstoffe für den jährlichen Stromverbrauch einer ganzen Familie.

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Isabella Milch

Das Prinzip

Bild 1: Die internationale Fusionstestanlage ITER im Entwurf (Höhe: 30 Meter)

Wie ein Kohlefeuer setzt auch das Fusionsfeuer nicht selbständig, sondern erst bei den passenden Zündbedingungen ein. Für den Brennstoff - ein sehr dünnes, ionisiertes Gas, ein "Plasma" - bedeutet dies eine Zündtemperatur von 100 Millionen Grad. Wegen der hohen Temperatur kann man das Plasma nicht unmittelbar in materiellen Gefäßen einschließen. Bei jedem Wandkontakt würde sich das heiße Gas sofort abkühlen. Stattdessen nutzt man magnetische Felder, die den Brennstoff wärmeisolierend einschließen und von den Gefäßwänden fernhalten.

Der Stand der Forschung: Dieses Prinzip konnte erstmals die europäische Gemeinschaftsanlage JET (Joint European Torus) in Culham/Großbritannien bestätigen, das weltweit größte Fusionsexperiment. 1997 ist es hier gelungen, kurzzeitig eine Fusionsleistung von 16 Megawatt zu erzeugen. Mehr als die Hälfte der zur Plasmaheizung verbrauchten Leistung wurde dabei per Fusion zurück gewonnen. Für einen Nettogewinn an Energie ist das JET-Plasma mit seinen 80 Kubikmetern Volumen jedoch zu klein. Dies ist die Aufgabe des geplanten internationalen Experimentalreaktors ITER (lat. "der Weg"). In seinem rund 830 Kubikmeter umfassenden Plasmavolumen soll eine Fusionsleistung von 500 Megawatt erzeugt werden - zehnmal mehr, als zur Aufheizung des Plasmas verbraucht wird.

ITER wurde seit 1988 in weltweiter Zusammenarbeit von europäischen, japanischen, russischen und amerikanischen Fusionsforschern vorbereitet. Seit Juli 2001 liegen die baureifen Pläne vor; wesentliche Bauteile sind als Prototypen gebaut und getestet. Inzwischen haben sich China und Südkorea dem Projekt angeschlossen, die USA sind nach einem vorübergehenden Rückzug im Jahr 1997 dem Projekt im Frühjahr 2003 wieder beigetreten. Gegenwärtig laufen Verhandlungen über den rechtlichen und organisatorischen Rahmen des Projekts sowie über den Standort: Europa hat Cadarache in Südfrankreich, Japan Rokkasho im Norden der Insel Honshu angeboten.

Anlagen-Typen

Tokamaks

JET und ITER sind Fusionsanlagen vom Typ "Tokamak", der heute weltweit am weitesten verbreiteten und am besten untersuchten Bauart. Sie bauen ihren Magnetfeldkäfig zum einen Teil durch äußere Magnetspulen auf, die das Plasmagefäß umschließen. Der andere Teil wird von einem im Plasma fließenden elektrischen Strom erzeugt, der dort pulsweise von einem Transformator induziert wird. Sie können deshalb ohne Zusatzmaßnahmen nur in Pulsen arbeiten. Im Europäischen Fusionsprogramm, zu dem sich die nationalen Laboratorien in der Europäischen Union und der Schweiz zusammengeschlossen haben, wird an mehreren, unterschiedlich spezialisierten Tokamaks geforscht: Während die Großanlage JET das Plasmaverhalten in der Nähe der Zündung untersucht, bearbeiten die kleineren nationalen Anlagen - ASDEX Upgrade in Garching, TEXTOR in Jülich, der mit supraleitenden Magnetspulen arbeitende Tore Supra in Frankreich sowie FTU im italienischen Frascati - speziellere Fragen: Zum Beispiel widmet sich ASDEX Upgrade, die größte deutsche Fusionsanlage, schwerpunktmäßig der ITER-Vorbereitung: Hierzu gehört die Entwicklung von Plasmazuständen mit verbesserter Wärmeisolation und die Verlängerung der Pulsdauer bis hin zum Dauerbetrieb. So werden die mit ASDEX Upgrade erarbeiteten Kenntnisse, die bereits in die ITER-Planung wesentlich einflossen, auch den wissenschaftlichen Betrieb der Anlage bestimmen.

Bild 2: Der Weg zur wirtschaftlichen Nutzung der Fusion

Stellaratoren

Im Unterschied zu Tokamaks können Stellaratoren von vorne herein im Dauerbetrieb arbeiten: Sie laufen ohne Plasmastrom mit einem Feld, das ausschließlich durch äußere Spulen erzeugt wird. Dafür benötigen sie jedoch wesentlich komplexer geformte Magnetspulen als ein Tokamak. In Europa wird der Stellarator TJ-II in Madrid betrieben; in Greifswald entsteht Wendelstein 7-X. Nach der Fertigstellung im Jahr 2010 wird es das weltweit größte Experiment vom Stellarator-Typ sein - mit einem Plasmavolumen von 30 Kubikmetern jedoch wesentlich kleiner als ITER. Wendelstein 7-X soll die Kraftwerkstauglichkeit dieses alternativen Konzepts demonstrieren: Ein verbessertes Magnetfeld soll die Schwierigkeiten früherer Stellaratoren überwinden; die Qualität von Plasmagleichgewicht und -einschluss soll der eines Tokamak ebenbürtig werden. Und mit Entladungen bis zu 30 Minuten Länge soll Wendelstein 7-X die wesentliche Stellaratoreigenschaft vorführen, den Dauerbetrieb. Ein Energie lieferndes Plasma wird allerdings nicht angestrebt: Da sich dessen Eigenschaften vom Tokamak zum großen Teil auf Stellaratoren übertragen lassen, bleibt dies dem Tokamak ITER überlassen.

Die Strategie: Der Tokamak ITER soll zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. Auf technologischer Seite liegen weitere Herausforderungen vor allem in der Materialforschung: Parallel zu ITER ist - u.a. mit Hilfe einer Neutronenquelle - die Entwicklung neutronenbeständiger Baumaterialien mit geringem Aktivierungspotenzial voranzutreiben sowie von hitze- und erosionsbeständigen Materialien für das Plasmagefäß. Auf ITER soll dann eine Demonstrationsanlage DEMO folgen, die alle Funktionen eines Kraftwerks erfüllt. Wenn Wendelstein 7-X seine berechneten guten Eigenschaften experimentell bestätigen kann, dann könnte dieses Demo-Kraftwerk auch ein Stellarator sein. Angesichts von je zwanzig Jahren Planungs-, Bau- und Betriebszeit für ITER und seinen Nachfolger DEMO könnte ein Fusionskraftwerk also etwa in fünfzig Jahren wirtschaftlich nutzbare Energie liefern.

Das Fusionskraftwerk

Der Kern des Kraftwerks ist schalenförmig wie eine Zwiebel aufgebaut: Das ringförmige Plasma im Zentrum ist umgeben von der ersten Wand, dem "Blanket" und dem Vakuumgefäß, auf das die Magnetfeldspulen aufgefädelt sind. Wegen der bei Tieftemperatur arbeitenden supraleitenden Magnete ist der gesamte Kern in einem Kryostaten eingeschlossen. Der Brennstoff - Deuterium und Tritium - wird in Form gefrorener Kügelchen tief in das Plasma hinein geschossen. Etwa 20 Gramm Tritium pro Stunde verbraucht ein Kraftwerk von 1.000 Megawatt elektrischer Leistung. Bis zur Zündung führt eine Startheizung dem Plasma für einige Sekunden eine Leistung von 50 bis 100 Megawatt zu. Die schnellen Heliumkerne, die bei den nun einsetzenden Fusionsreaktionen entstehen, sind als geladene Teilchen im Magnetfeld gefangen und geben ihre Energie über Stöße an das Plasma ab. Schließlich kann die äußere Heizung weitgehend abgeschaltet werden; das Plasma brennt selbständig weiter und hält die hohe Fusionstemperatur per Selbstheizung aufrecht. Die entstehenden Neutronen verlassen das Plasma ungehindert und werden im Blanket, der inneren Verkleidung der Gefäßwand, abgebremst. Dort geben sie ihre gesamte Bewegungsenergie in Form von Wärme ab. Im Blanket erzeugen die Neutronen zudem aus Lithium den Brennstoffbestandteil Tritium, das mit Hilfe eines Spülgases entfernt und dem Brennstoffkreislauf wieder zugeführt wird. Die "Asche" der Fusionsreaktion, das Helium, wird durch den so genannten Divertor abgeführt. Die in Blanket und Divertor erzeugte Wärme wird durch ein Kühlmittel - Helium oder Wasser - zum Dampferzeuger transportiert, um Strom zu produzieren, der dann an das Netz abgegeben wird. Die konventionellen Teile des Kraftwerks - Dampferzeuger, Turbine und Generator - unterscheiden sich kaum von ähnlichen Komponenten in heutigen Kohle- oder Kernkraftwerken.

Sicherheits- und Umwelteigenschaften: Überlegungen zur Sicherheit gelten dem radioaktiven Tritium und den energiereichen Fusionsneutronen, welche die Wände des Plasmagefäßes aktivieren. Eine naturgesetzlich gegebene Eigenschaft eines Fusionskraftwerks ist: Es kann so konstruiert werden, dass es keine Energiequellen enthält, die - wenn sie außer Kontrolle geraten - eine Sicherheitshülle von innen zerstören könnten. Ein Unfall mit katastrophalen Folgen ist aus prinzipiellen physikalischen Gründen unmöglich. Als radioaktiver Abfall bleiben die Wände des Plasmagefäßes zurück, die nach Betriebsende zwischengelagert werden müssen. Die Radiotoxizität des Abfalls klingt innerhalb weniger Jahrzehnte um viele Größenordnungen ab, so dass nachfolgende Generationen nicht wesentlich belastet werden: Nach ein- bis fünfhundert Jahren Abklingzeit ist der radiotoxischer Inhalt bereits vergleichbar mit dem Gefährdungspotential der gesamten Kohleasche aus einem leistungsgleichen Kohlekraftwerk, die stets natürliche radioaktive Stoffe enthält. Werden entsprechende Rezyklierungstechniken angewandt, ist keine Endlagerung nötig. Auch das Klima schädigende Emissionen treten nicht auf.

Sozio-ökonomische Fragen: Mit diesen günstigen Eigenschaften und ihrem nahezu unerschöpflichen Brennstoffreservoir könnte die Fusion eine der Stützen einer nachhaltigen Energieversorgung werden: Fusionskraftwerke werden etwa 1.500 Megawatt elektrischer Leistung - und rund 10 TWh jährlicher Arbeit - liefern. (Für die dabei vorausgesetzte Verfügbarkeit von 75 Prozent für das zehnte Kraftwerk seiner Art werden mit fortschreitender Technologieerfahrung deutliche Steigerungen erwartet). Fusionskraftwerke würden vor allem die Grundlast bedienen. Sie ließen sich problemlos - wie heutige Kernkraftwerke - in das Verbundsystem der Stromversorgung einbinden. Auch in einer stark von erneuerbaren Energien dominierten Stromwirtschaft fänden Fusionskraftwerke ihren Platz: als Puffer für die von der Witterung abhängigen Wind- und Sonnenkraftwerke. Ebenso könnten sie zur Wasserstofferzeugung genutzt werden.

Eine Studie zur Entwicklung des europäischen Energiemarktes ab 2050 zeigt, dass Fusion als neue und kapitalintensive Technologie dann in den europäischen Markt eindringen kann, wenn der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid deutlich reduziert werden soll. Dann könnte Fusion im Jahr 2100 etwa 20 bis 30 Prozent des europäischen Strombedarfs decken. Als Hauptkonkurrenten erweisen sich Kohle und Kernspaltung, während sich Fusion und Erneuerbare parallel zueinander entwickeln: Fusion bedient in erster Linie die Grundlast, wofür die intermitterenden Wind- und Sonnenkraftwerke kaum geeignet sind.

Im globalen Blickwinkel wird - angesichts der wachsenden Weltbevölkerung - die Bedeutung der Option Fusion noch deutlicher: In Ländern mit rasant steigender wirtschaftlicher Aktivität wie Indien und China sind in den nächsten Jahrzehnten fast nur Kohlekraftwerke geplant. Kraftwerke und Infrastruktur sind auf Lebenszeiten von etwa 40 Jahren ausgelegt - zu dieser Zeit soll das Fusionsdemonstrationskraftwerk DEMO mit der Stromerzeugung beginnen.

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