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01.01.2014 Mitgliederinformation

Warum haben wir heute die Frequenz 50 Hz?

Dass der elektrische Strom in unseren Netzen und Geräten mit der Frequenz 50 Hz periodisch wechselt, ist geradezu eine Selbstverständlichkeit. Das war aber nicht immer so: In der Früh-zeit der Wechselstromtechnik hatte die Frequenz keinen festen, manchmal sogar einen selt-samen Wert. Zudem gab es den Begriff „Frequenz“ noch nicht: Die Wechselhäufigkeit wurde einfach mit der „Zahl von Wechseln in der Minute“ (alternations per minute), später „vollen Perioden je Sekunde“ (cycles per second) ausgedrückt und zuweilen mit dem Schlangen-symbol „~“ ergänzt. Bald präzisierte man die Angabe durch den Zusatz „p/s“ (Perioden je Sekunde, periods per second). In Deutschland wurde später − zu Ehren des Physikers Heinrich Hertz − die Bezeichnung „Hz“ als Einheit für die Frequenz eingeführt; „das Hertz“ bekam, nach anfänglichen Widerständen, ab etwa 1933, auch internationale Zustimmung.

Erster Lichtstrom mit „16‘000 Wechseln pro Minute“: 133⅓ Hz

Im Jahr 1886 wurde der weltweit erste Wechselstromgenerator vom Elektropionier George Westinghouse in den USA gebaut [1]. Der Generator produzierte einen Strom mit „16‘000 Wechseln pro Minute“. Weil je zwei Wechsel eine volle Periode bilden, entsprach dies einem Wert von 16‘000 / (2 x 60) = 133⅓ Perioden in der Sekunde, in heutiger Wahrnehmung also der Frequenz 133⅓ Hz.

Wieso konnte dieser merkwürdige Zahlenwert entstehen? Für die Versuchsmaschine hatte George Westinghouse aus seinem Typenvorrat ein Dynamo-Magnetgestell mit acht Polen genommen und dazu einen zylindrischen Läufer gebaut, auf dessen Mantelfläche er elekt­rische Drähte befestigte. Diese „Wicklung“ hatte zwangsläufig eine geringe Leiterzahl. Damit sie eine brauchbare Induktionsspannung hervorbrachte, musste der Läufer ziemlich schnell im Magnetfeld gedreht werden. Dank eines Riemenantriebs mit Übersetzung ins Schnelle erreichte man 2000 Touren pro Minute, und so ergaben sich die besagten 2000 x 8 = 16‘000 Polwechsel in der Minute, also die „krummen“ 133⅓ Hz. − Die Konkurrenzfirma Thomson-Houston (später General Electric nach Fusion mit der Edison General Electric Company) bevorzugte 15‘000 Polwechsel, was der Frequenz 125 Hz entsprach.

Zur Zeit der Erstanwendung von 133-Hz und 125-Hz-Strom gab es noch keine Induktions­motoren, keine elektrische Kraftübertragungen und keinerlei Parallelbetrieb von Generatoren, was besondere Rücksichten bei der Frequenz erfordert hätte. Eigentlich ging es nur um elektrisches Licht. In Amerika waren „Lichtverteilungssysteme“ üblich, bei denen von einer Zentrale aus jede Speiseleitung von einem eigenen Generator versorgt und jeder Konsument durch einen kleinen Transformator direkt an das Primärnetz angeschlossen wurde. Hohe Frequenzen waren dabei von Vorteil, machten sie doch Transformatoren mit geringem Gewicht möglich, die man bequem an den Strommasten aufhängen konnte.

Kraftstrom mit niedriger Wechselzahl: 25 Hz und mehr

Hohe Periodenzahlen entpuppten sich bald als Hindernis beim Bau drehender Elektromaschi­nen, die als Motoren, Generatoren und Umformer zum Einsatz kommen sollten. Um mit geringen Touren fahren zu können, musste aus konstruktiven Gründen eine eher kleine Zahl von Polen genommen werden, was auch einer niedrigen Frequenz entsprach. Beispiele: Die Generatoren des Wasserkraftwerks Lauffen am Neckar (Bild 1) vom Jahr 1891 hatten 150 Touren pro Minute und 32 Pole; sie erzeugten demnach einen 40-Hz-Strom (150 x 32/2 / 60 = 40). Die Niagara-Generatoren vom Jahr 1895 drehten mit 250 Touren pro Minute; mit 12 Polen ergab dies 250 x 12/2 / 60 = 25 Hz. Der Trend zu niedrigen Drehzahlen wurde durch den Übergang zu direkter Kupplung mit Wasserturbinen oder Kolbenmaschinen verstärkt.

Lichtstrom nicht unter „5‘000 Wechseln pro Minute“: 41⅔ Hz (42 Hz)

Mittlerweile hatte die ungarische Elektrofirma Ganz bei elektrischen Bogenlampen systema­tisch das Problem des Lichtzuckens untersucht, das bei Wechselströmen auf geringe Perio­denzahlen zurückzuführen war. Man fand heraus, dass das menschliche Auge das Licht immer dann als ruhig wahrnahm, wenn der Strom 5000 mal oder öfters in der Minute wechselte. Die Firma setzte in der Folge eine tiefste Wechselzahl von 5000 für ihre Erzeug­nisse fest. Das entspricht der Frequenz 41⅔ Hz oder rund 42 Hz. In den Absatzgebieten der Ganz-Werke, so auch Italien, war die 42-Hz-Frequenz sehr verbreitet und während Jahr­zehnten in Gebrauch.

Nordamerikas Weg zu 60 Hz (und 25 Hz)

Auch in den USA, wo die Wechselstromtechnik zunächst für Licht mit hohen Zyklenzahlen ihren Anfang genommen hatte, musste bald erkannt werden, dass neue Anwendungen der Elektrizität niedrigere Wechselzahlen verlangten [1]. So ging man fallweise zu tieferen Frequenzen über, und mit der Zeit entstand eine bunte Palette von Gebrauchswerten:

133⅓ Hz (16‘000 Wechsel), 125 Hz (15‘000), 83⅓ Hz (10‘000), 66⅔ Hz (8‘000), 60 Hz, 50 Hz, 40 Hz, 30 Hz, 25 Hz und viele andere.

Schon ab den frühen 1890er Jahren empfahlen die Westinghouse Company und ihr Star-Berater Nikola Tesla für Neuanlagen den Gebrauch von 7200 Wechseln in der Minute (60 Zyklen / Sekunde), was als gangbarer Kompromiss zwischen den Bedingungen der Strom­erzeugung und -anwendung gesehen wurde. Für elektrische Kraftübertragungen hingegen fand man eine noch tiefere Zyklenzahl als erforderlich; übrigens auch für Umformermaschi­nen, die vielerorts zur Versorgung von Gleichstromverbrauchern gefragt waren. So ließ man in den USA eine zweite Standardfrequenz zu und übernahm dafür die 25 Zyklen des Niagara Kraftwerks. − In Nordamerika sollten sich, wie bekannt, schließlich die 60 Hz als Standard­frequenz für alle Zwecke durchsetzen. Der 25-Hz-Gebrauch blieb auf die US-amerikanische Niagara-Grenzregion beschränkt, überdauerte lokal immerhin das ganze 20. Jahrhundert.

Europas Weg zu 50 Hz

In England waren zu Anfang die gewählten Frequenzen, ähnlich wie in den USA, recht hoch. Auf dem europäischen Festland hingegen wurden von Beginn an eher niedrige Perioden­zahlen, in Deutschland vorwiegend solche zwischen 40 und 70, verwendet. Bild 2 zeigt eine Frequenzstatistik, abgeleitet aus einer Übersicht über die in Deutschland neuerbauten Wechselstrom-Kraftwerke aus dem Zeitraum 1891−1901 [2]. Man erkennt: 50 Hz war in Deutschland am Anfang nur eine Frequenz unter vielen anderen zwischen 40 und 70 Hz, nahm aber schon gegen Mitte des Jahrzehnts eine Vorrangstellung ein, stellte andere Frequenzen − namentlich 25 und 42 Hz – in die Ecke und war zur Jahrhundertwende einzige Wahl bei Neuanlagen.

In Europa setzten sich zwei Elektrofirmen besonders für die 50-Hz-Frequenz ein: die Maschinenfabrik Oerlikon MFO in der Schweiz und die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft AEG in Berlin. Beide Unternehmen arbeiteten eng zusammen und hatten schon 1891 die spektakuläre Hochspannungs-Drehstromübertragung von Lauffen am Neckar (Bild 1) über eine Strecke von 175 Kilometern zur Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main vorgeführt. Die Übertragung erfolgte noch mit der Frequenz 40 Hz, abschließende Versuche mit erhöhter Leistung und Spannung fanden sogar mit auf 24 Hz herabgesetzter Frequenz statt. Man sieht: Die Frequenz war in der frühen Starkstromtechnik ein freier Parameter, sozusagen eine „Stellschraube“ bei der Systemanpassung.

Dank dieses Tricks nutzte die MFO ihr „Generatormodell Lauffen“ neu mit 150 U/min und 40 Hz für ein nächstes Projekt, indem sie Drehzahl und Frequenz um 25 % anhob: 1892 gingen im nordschweizerischen Hochfelden „Lauffen-ähnliche“ Hydrogeneratoren in Betrieb, die mit 187,5 U/min rotierten und demzufolge einen 50-Hz-Strom erzeugten. Es geriet zur gängigen Praxis, dass man bei neuen Anfragen ein bestehendes Maschinenmodell ohne konstruktive Änderungen einfach durch eine etwas andere Drehzahl anpasste. Einzige Folge: es wurde eine neue Frequenz eingeführt!

Die MFO darf für sich in Anspruch nehmen, mit der Hochfelden-Lieferung die vermutlich ersten 50-Hz-Drehstromgeneratoren in die Welt gesetzt zu haben. Bald sollten Generatoren dieser Bauart für das Kraftwerk Bremgarten an der Reuss folgen. Die ganz große Stunde für 50 Hz aber kam mit dem Wasserkraftprojekt am deutschen Ufer bei Rheinfelden (Bild 3). Die Experten waren gefordert, eine „für den speziellen Fall günstigste Wechselzahl des Stromes“ zu bestimmen. Emil Rathenau, Generaldirektor der AEG, sagte dazu in einem Vortrag an der 4. Jahresversammlung des VDE 1896 zu Berlin [3]: „... Nach eingehenden Erwägungen entschloss man sich zu 50 Perioden in der Sekunde, weil bei dieser Wechselzahl der Spannungsabfall [der Übertragungsleitungen] durch Selbstinduktion in angemessenen Grenzen zu halten ist; für den Betrieb von Transformatoren, Motoren und Glühlampen erscheint sie besonders geeignet, und auch die Benutzung von Bogenlampen ist zulässig, wenn die Anforderungen an Beständigkeit des Lichtes nicht übertriebene sind.“

Die AEG setzte den Bau städtischer Kraftwerke mit 50 Hz konsequent fort. So entstanden allein bis 1897 Kraftwerke in Strassburg, Magdeburg, Plauen, Berlin-Oberspree und Gleiwitz. Die 50-Hz-Welle erfasste immer mehr Länder Europas und blieb nicht unbedingt eine Exklu­sivität deutscher und schweizerischer Hersteller. Um die Jahrhundertwende waren 50 Hz zu einer Art Gewohnheitsstandard geworden.

Die Normfrequenz 50 Hz

Die Beförderung der Wechselzahl 50 zur Normfrequenz wurde vom Verband Deutscher Elektrotechniker VDE an die Hand genommen, nachdem dieser im Jahr 1900 eine Normalien­kommission für elektrische Maschinen und Transformatoren gebildet hatte. Der Prozess sollte mühsam werden und sich über drei Jahrzehnte erstrecken [4, 5]. Bei den ersten VDE-Maschi­nennormalien, Ausgabe 1902, wurde die Frequenz ausdrücklich ins Regelwerk aufgenommen, allerdings nur im Anhang in Form der Empfehlung: Die Frequenz soll 25 oder 50 sein. Die Frequenzvariante 25 hatte in der Folgezeit offenbar wenig Anklang gefunden und wurde in der nächsten Ausgabe, Jahr 1912, fallen gelassen. Dort steht zu lesen: Die Frequenz soll 50 sein. Dies galt als „Empfehlung für Neuanlagen und Preislisten“. Der Erste Weltkrieg er­zwang eine Unterbrechung der Normierungsarbeiten, umso stärker war nachher der Druck zur Vereinheitlichung. Die Schweiz, die ab 1918 eine „eidgenössische Sammelschiene vom Bodensee bis zum Genfersee“ mit vereinheitlichtem Stromsystem aufbaute, genoss zuneh­mend den Vorteil eines landesweit realen 50-Hz-Standards. Der Elektrotechnische Verein in Wien beschloss im Jahr 1920 die „Periodenzahl von 50 in der Sekunde“ als Normwert für Österreich. In Großbritannien wurden im Jahr 1925 die 50 Zyklen pro Sekunde zum nationa­len Standard erhoben. In Deutschland fiel das letzte Wort im Jahr 1928, das revidierte Regel­werk trat auf Beginn 1930 in Kraft und hielt fest: Genormte Nennfrequenz ist 50 Hz.

Es bleibt anzufügen, dass die „europäische“ 50-Hz-Frequenz nicht nur im kontinentaleuropä­ischen Verbundnetz mit mittlerweile 22 Ländern „den Takt angibt“, sondern in 4½ Kontinen­ten unserer Erde als Norm angenommen ist, während der 60-Hz-Standard in Nordamerika, einem Teil Südamerikas und einigen Ländern Asiens gilt.

Warum genau der Zahlenwert 50?

Es gibt Vermutungen, die Zahl 50 sei in Europa auch deswegen bevorzugt worden, weil sie einer Normzahlreihe angehöre. Vom französischen Militäringenieur Charles Renard in den 1870er Jahren entwickelt, waren die „Renard-Serien“ immer mehr zur Richtschnur bei Ver­einheitlichungsarbeiten geworden. Und in der Tat: Innerhalb der 10-stufigen dezimal­geometrischen Normzahlreihe R10

10 / 12,5 / 16 / 20 / 25 / 31,5 / 40 / 50 / 63 / 80 / 100

kommt die Zahl 50 ausdrücklich vor (60 hingegen nicht). Ob derartige Überlegungen (Norm­zahl statt freier Wert) bei Festlegung der 50-Hz-Frequenz wirklich mit im Spiel waren, konnte der Verfasser nicht bestätigt finden. Vielleicht aber gibt es hierzu aus dem VDE-Mitglieder­kreis weiterführende Hinweise?

Literatur

[1] Lamme, Benjamin Garver: The technical story of the frequencies. In: AIEE Transactions 37(1918) pp. 65−85

[2] Jäger, Kurt: Wechselstrom-Kraftwerke in Deutschland. Der Übergang vom Gleich- zum Drehstrom. VDE Verlag Geschichte der Elektrotechnik, Bd. 5, 1987

[3] Rathenau, Emil: Die Kraftübertragungswerke zu Rheinfelden. In: ETZ Elektro­technische Zeitschrift 17(1896)27, S. 402−409

[4] Neidhöfer, Gerhard: Der Weg zur Normfrequenz 50 Hz. Wie aus einem Wirrwarr von Periodenzahlen die Standardfrequenz 50 Hz hervorging. In: Bulletin SEV/AES 99(2008)17, S. 29−34

[5] Neidhöfer, Gerhard: 50-Hz frequency. How the standard emerged from a European jumble. In: IEEE Power & Energy Magazine 9(2011)4, pp. 66−81

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