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12.12.2024

MICROELECTRONICS FOR FUTURE 2024

Tagung zur Zukunft der europäischen Halbleiterindustrie

Um die Zukunft der europäischen Halbleiterindustrie und eine sinnvolle Förderstrategie ging es bei der Tagung „MICROELECTRONICS FOR FUTURE 2024“, die von ZVEI und VDE gemeinsam in Berlin ausgerichtet wurde. Eine Studie zeigt, dass eine zukünftige Förderung mit 21,4 Milliarden Euro zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von fast 33 Milliarden Euro pro Jahr führen würde.

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Dr.-Ing. Ronald Schnabel

Von Alexander Morhart


Bei drei von fünf Sektoren der weltweiten Halbleiterindustrie ist Europa führend: bei Mikrocontrollern, Sensorik und Leistungshalbleitern – so die Bestandsaufnahme von Andreas Urschitz, Vorsitzender der ZVEI-Plattform Mikroelektronik und Marketing-Vorstand von Infineon Technologies.

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Andererseits: Während Europa vor 25 Jahren noch 20 Prozent Weltmarktanteil an der Halbleiterproduktion hatte, sind es heute nur noch acht Prozent – „Tendenz fallend“, so der stellvertretende VDE Präsident Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kutter. Ein konkretes Beispiel nannte Markus Aschenbrenner, Mitglied des Vorstands von Zollner Elektronik: „Wir hatten zur Jahrtausendwende in Europa 500 Unternehmen, die Leiterplatten hergestellt haben. Mittlerweile sind wir deutlich unter 200, und der Trend ist eher abnehmend. Der Grund ist die Konkurrenzfähigkeit mit geförderten, asiatischen Unternehmen.“

Folgen der Chip-Knappheit

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Was die Abhängigkeit von Mikroelektronik im Krisenfall bedeuten kann, stellte Tanjeff Schadt von PwC am Beispiel der Chip-Knappheit in den Jahren 2021 bis 2023 dar. Gemäß der in Zusammenarbeit mit dem Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI erstellten Studie „Von Chips zu Chancen“ habe die Chip-Knappheit allein in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt um mindestens 102 Milliarden Euro verringert. In der Studie sind diverse Faktoren aufgelistet, die zu Einschränkungen – vor allem durch einen Absatzrückgang in der Automobilindustrie – geführt haben. Einen davon illustrierte ZVEI-Präsident Dr.-Ing. Gunther Kegel. Der Vorstandsvorsitzende von Pepperl+Fuchs sagte: „Wir haben Broker-Ware gekauft und für Chips, die sonst zwei Euro kosten, 600 Euro bezahlt.“

Förderstrategien: Chip-Weltmarkt im Blick

Tanjeff Schadt referierte mit mehreren Szenarien, wie sich unterschiedliche Förderstrategien auf den Anteil der EU an den weltweiten Halbleiter-Produktionskapazitäten bis 2045 auswirken würden. Während die absolute Kapazität in jedem Szenario steigt, sinkt der Anteil am Weltmarkt durchweg, weil in anderen Regionen ebenfalls zugebaut wird.

Werden die derzeit europaweit geplanten Großprojekt-Fördervorhaben mit einem Fördervolumen von rund 21,4 Milliarden Euro berücksichtigt, rechnet der PwC-Experte mit einer Verdopplung der absoluten Produktionskapazität in der EU, was einer Verringerung des Weltmarktanteils von heute 8,1 auf 5,9 Prozent im Jahr 2045 entsprechen dürfte.

Würde zusätzlich die Förderung „verstetigt“, könnte die absolute Kapazität in der EU um den Faktor 2,5 gegenüber heute gesteigert werden; der Weltmarktanteil 2045 läge dann mit 7,4 Prozent etwas unter dem heutigen. Ein Weltmarktanteil von 20 Prozent, den die EU-Kommission eigentlich als Ziel ausgegeben hat, „braucht noch viel weitreichendere Maßnahmen, um in Erfüllung zu gehen.“

Für den Förderbetrag 21,4 Milliarden Euro hat Schadt die zusätzliche Bruttowertschöpfung berechnet. Er nannte dafür knapp 32,8 Milliarden Euro pro Jahr ab dem Jahr 2036, von denen allein 25,7 Milliarden Euro pro Jahr auf Deutschland entfielen. Außerdem seien EU-weit zusätzliche Steuereinnahmen von 7,9 Milliarden Euro pro Jahr und 65.000 Stellen zu erwarten.

„Deswegen müssen wir Stärken stärken“

Fast alle Redner und Teilnehmer an den drei Podiumsdiskussionen sprachen sich für die Strategie aus, hauptsächlich die vorhandenen Unternehmen zu fördern. FDP-MdB Mario Brandenburg: „Es wird nie genug Geld da sein, um jeglichen Förderwillen vollständig zu befriedigen. Und deswegen müssen wir Stärken stärken.“ Realistischer als „alles komplett hier machen zu wollen“ sei es, „dass wir an neuralgischen Punkten  in der Kette mit drin und quasi unverzichtbar sind.“ Ähnlich CDU-MdB Stefan Rouenhoff: „De-Risking heißt ja nicht unbedingt nur, Produktion hier wieder zurück zu verlagern. Es geht am Ende auch darum, Stärken, die wir haben, zu stärken, um die Abhängigkeiten anderer Länder von uns nicht zu reduzieren.“ Christoph Kutter mahnte: „Wir müssen gucken, dass wir auch die heimischen Hersteller und die heimischen Unternehmen fördern in ihrer Ansiedelung, denn auch die können ins Ausland gehen.“

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Andreas Urschitz sagte mit Blick auf die drei Sektoren mit EU-Vorsprung Mikrocontroller, Sensorik und Leistungshalbleiter: „Und diese weiter zu erhalten und auszubauen, das liegt in unserer Hand. Wir können und müssen uns darauf konzentrieren.“ Das schließt für ihn jedoch nicht Förderprojekte aus wie die geplante Ansiedelung von Sub-22-Nanometer-Fabrikkapazitäten durch die Beteiligungsgesellschaft ESMC in Dresden: „Da geht es ja genau um diese Brückentechnologie hin zu den Prozessoren, die wir hier benötigen, um unsere starke Position bei den Mikrocontrollern auszubauen.“

Überkapazität und Dumpingpreise?

Andreas Nitze, Head of Global Advocacy bei ASML, berichtete von der Warnung durch US-amerikanische Industrieverbände und Beratungsunternehmen vor einer strukturellen Überkapazität der chinesischen Chipindustrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Zumindest in einzelnen Bereichen wie der Automobilindustrie könnte es demnach zu Dumpingpreisen kommen, die auch die „Infineons und NXPs dieser Welt“ bedrohten. „Welche Mittel hat die EU, um mit solchen schwierigen Situationen umzugehen?“

Gunther Kegel mahnte, eine Diversifikation als Ausgleich für ausfallende Geschäfte in China brauche Zeit. Der Markt in Indien wachse langsamer als der in China, und die afrikanischen Länder „haben noch eine eigene Geschwindigkeit, die zum Teil sogar rückwärtsgerichtet ist.“

Regulatorische Hürden meistern

Mehrfach war die Forderung nach einem Verzicht auf zu hohe regulatorische Hürden zu hören. Mario Brandenburg kritisierte den AI-Act der EU und verwies als Beispiel auf ChatGPT. „Nach zwei Monaten hatten die 100 Millionen User. Niemand holt das mehr auf. Wenn ich quasi in Europa ChatGPT erfunden hätte, dann gehe ich zur Bundesnetzagentur. Da brauche ich zwei Monate, bis ich einen Eingangsstempel habe!“

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Markus Aschenbrenner steuerte gleich zwei Beispiele bei: „In Wuhan sind alle Taxis mittlerweile autonom unterwegs – während wir diskutieren: ‚Was sind die Rahmenbedingungen, die wir schaffen müssen, damit wir autonom fahren dürfen?’“ Aschenbrenner zum Lieferkettengesetz: „Wir haben 7.000 Lieferanten und 300.000 Einkaufsartikel, die wir zu handeln haben. Da sind viele Lieferanten in Asien. Wenn sie da mit Datenforderungen hinkommen, dann sagt der ganz einfach: Interessiert mich nicht; entweder Du kaufst es, oder Du lässt es bleiben.“

Fast schon beruhigend die Einschätzung von Manuel Alves Mendes, Mitglied der Geschäftsführung von NXP Germany: „Die KI-Technologie wächst so schnell – die Regulierung kann damit nicht mithalten. Zu versuchen, alles zu regeln, wird in diesem Fall gar nicht klappen.“

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