Zusammenfassung
Eine leistungsfähige und sichere Gesundheitsversorgung ist Voraussetzung, die Gesundheit der Menschen zu erhalten und zu verbessern. Die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE sieht die Gesundheitsversorgung in Deutschland mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert, die sich auch auf den Bereich der Medizintechnik auswirken. Es werden daher wesentliche Handlungsfelder und Empfehlungen identifiziert, um die Gesundheitsversorgung in Deutschland aus technologischer Perspektive zu sichern. Die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE empfiehlt insbesondere:
- eine qualitative und quantitative Verbesserung von Förderprogrammen, vor allem mit Blick auf klinische Forschung und regulatorische Anforderungen,
- den Aufbau einer Task Force der Bundesregierung, mit dem Ziel, eine kohärente, ressortübergreifende Innovationsstrategie der biomedizinischen Technik zu entwickeln,
- die Schaffung von Rahmenbedingungen, welche die Digitalisierung aller relevanten Bereiche der Gesundheitsversorgung schnellstmöglich voranbringen,
- eine systematische Prüfung, ob und wie übermäßige Regulierung und entsprechende Umsetzungsbürokratie zurückgenommen werden können,
- eine qualitative und quantitative Verbesserung des Zugangs zu Innovationsförderung und -finanzierung für junge, kleine und mittlere Unternehmen,
- eine breit angelegte Bildungsoffensive sowohl in den medizinischen als auch naturwissenschaftlich-technischen Fächern,
- den konsequenten Einsatz innovativer Technologien, um die Gesundheitsversorgung in Deutschland auch im Fall krisenhafter Ereignisse sicher, leistungsfähig und resilient zu machen,
- die Berücksichtigung von Aspekten der Nachhaltigkeit auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung.
Gegenwärtig gibt es keine kohärente Standortstrategie für Gesundheitstechnologie in Deutschland. Dies wird weder den aktuellen Herausforderungen an die Gesundheitsversorgung noch der Bedeutung der Gesundheitstechnologie gerecht. Damit besteht die Gefahr, dass Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückfällt. Notwendig ist hier ein deutlich höheres politisches Engagement. Daher empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE, eine entsprechende Strategie der Bundesregierung aufzusetzen, die alle relevanten Akteure und Disziplinen berücksichtigt und zu einem ressortübergreifenden Diskursformat einlädt. Ziel muss es sein, die Bedarfe der Gesundheitstechnologie in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung und bei standortbezogenen Reformvorhaben einzubeziehen.
Gesundheit und Gesundheitsversorgung
Gesundheit ist ein elementares Gut und wesentliches Fundament für eine funktionierende Gesellschaft. Dabei ist eine leistungsfähige und sichere Gesundheitsversorgung Voraussetzung, die Gesundheit der Menschen zu erhalten und zu verbessern.
Technologie ist ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Medizinprodukte, biomedizintechnische und digitale medizinische Lösungen helfen nicht nur, die Versorgung qualitativ zu verbessern, sondern auch effizienter zu machen. Zudem stehen Gesundheitstechnologien für Forschung und Innovation. Deutschland verfügt sowohl über eine breit aufgestellte Forschung der biomedizinischen Technik als auch innovative und weltweit erfolgreiche Medizintechnikunternehmen.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie, klinischer Forschung und Gesundheitsversorgung ist eine Voraussetzung dafür, dass Deutschland weiterhin eine führende Rolle in der Entwicklung und Translation fortschrittlicher Medizintechnik einnehmen kann. Eine wesentliche Aufgabe der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE ist es daher, diese Vernetzung zu fördern und auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für biomedizinische Technik hinzuwirken.
Herausforderungen
Die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE sieht die Gesundheitsversorgung in Deutschland gegenwärtig mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert, die sich auch den Bereich der Medizintechnik auswirken. Diese sind insbesondere:
Kosten
Die Kosten für die Gesundheitsversorgung in Deutschland steigen. Wesentliche Gründe sind der demografische Wandel mit einem steigenden Altersdurchschnitt der Bevölkerung, der Einsatz zum Teil teurer medizinischer Behandlungen und Medikamente, Fehlanreize und Fehlsteuerungen in der Versorgung sowie Inflation und Arbeitskosten.
Strukturen
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist strukturell durch sektorale Trennung, mengenorientierte Vergütungssysteme und unzureichend koordinierte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen gekennzeichnet. Dies führt zu einer inadäquaten Auslastungssteuerung der Gesundheitsinfrastruktur, unnötigen Kosten und Ineffizienz. Hinzu kommt ein erheblicher Investitionsstau im stationären Versorgungssektor, der auch die durchgängige Digitalisierung der Gesundheitsversorgung erschwert, sowie ein zu geringer Anteil ambulant erbrachter Leistungen.
Demografie
Mit einem steigenden Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt auch der Bedarf an medizinischen und pflegerischen Leistungen. Ältere Menschen benötigen häufiger medizinische Behandlungen und Pflege, die eine höhere Belastung des Gesundheitssystems nach sich ziehen. Gleichzeitig schrumpft die erwerbstätige Bevölkerung, so dass die Finanzierung der Gesundheitsversorgung zusätzlich erschwert wird.
Fachkräfte
Der Fachkräftemangel betrifft sowohl ärztliches Personal als auch Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe. Ursachen hierfür sind unter anderem die alternde Bevölkerung, die steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und die unzureichende Ausbildung und Rekrutierung neuer Fachkräfte. Dieser Mangel führt zu einer erhöhten Arbeitsbelastung für das vorhandene Personal, längeren Wartezeiten für Patienten und einer potenziellen Verschlechterung der Versorgungsqualität mit regionalen Unterschieden.
Krisen
Deutschland sieht sich gegenwärtig mit einer Zunahme externer und interner Bedrohungen konfrontiert. Zu den wesentlichen Herausforderungen zählen die Nachwirkungen der Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, Extremwetterereignisse in Verbindung mit dem Klimawandel, die Frage der Energiesicherheit, Cyberangriffe und politischer Extremismus. Krisensituationen können zu Engpässen führen und damit die Gesundheitsversorgung beeinträchtigen.
Überregulierung
Zu viele Vorschriften und bürokratische Hürden beeinträchtigen die Effizienz und Innovationsfähigkeit der Gesundheitsversorgung. Dies führt oft zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand für medizinisches Personal und Gesundheitseinrichtungen. Wertvolle Ressourcen werden unnötig zulasten der direkten Patientenversorgung gebunden. Zudem hemmt Überregulierung Innovation und die damit verbundene Einführung neuer Technologien und Behandlungsmethoden.
Digitalisierung
Trotz des großen Potenzials digitaler Technologien gibt es nach wie vor zahlreiche Hürden bei der praktischen Umsetzung. Dazu gehören etwa die Auslegung von Datenschutzanforderungen, die fehlende Interoperabilität informationstechnischer Systeme sowie die zum Teil fehlende Akzeptanz digitaler Lösungen durch Patienten und medizinisches Personal. Viele Gesundheitseinrichtungen sind noch nicht ausreichend digitalisiert, was zu ineffizienten Prozessen führt und Verzögerungen in der Patientenversorgung und -steuerung nach sich zieht. Eine fehlende digitale Infrastruktur bremst auch den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten.
Transfer
Neue Technologien können die Gesundheitsversorgung qualitativ verbessern und dazu beitragen, Prozesse und Ressourcennutzung zu optimieren. Die Digitalisierung spielt dabei eine Schlüsselrolle. Doch leider haben sich die Rahmenbedingungen für den Transfer von Gesundheitstechnologien in den vergangenen Jahren verschlechtert. Der wesentliche Grund sind Überregulierung und Bürokratie, die dazu führen, dass der Weg einer neuen Technologie von der Idee im Labor zum Patienten in der Versorgung immer länger, teurer und undurchlässiger wird. Insbesondere die europäische Verordnung über Medizinprodukte (MDR) erweist sich als Innovationshemmnis.
Handlungsfelder und Empfehlungen
Die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE sieht als wissenschaftlich-technische Fachgesellschaft vier zentrale Handlungsfelder, um den aktuellen Herausforderungen an die Gesundheitsversorgung zu begegnen.
1. Forschung und Transfer
Die biomedizintechnische Forschung ist überwiegend angewandter Natur. Ziel ist es, technische Lösungen zu erarbeiten, die Patienten und Patientinnen in der Gesundheitsversorgung nützen. Dazu bedarf es intensiver Kooperationen zwischen Forschungseinrichtungen, Kliniken und Hochschulen mit Unternehmen der Medizintechnik- und Digitalbranche. Die "Innovations-Pipeline" wird so in der Phase der Forschung und frühen Entwicklung befüllt und sichert die Fortschritte der Gesundheitsversorgung von morgen.
Die stetig steigenden regulatorischen Anforderungen, insbesondere die der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR), wirken sich auch auf die Forschung aus. Um die Anschlussfähigkeit der Ergebnisse gewährleisten zu können, müssen regulatorische Anforderungen bereits während der Forschung und frühen Entwicklungsphase adäquat berücksichtigt werden. Andernfalls wird die Translation der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse erschwert oder gar verhindert. Zudem werden Forschung und Entwicklung aufwändiger, langwieriger und teurer. Dies gilt auch für die in der Phase der Forschung und Entwicklung beteiligten Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die hierfür begrenzte Ressourcen haben. Branchenfernere Unternehmen, z. B. aus den Bereichen IT oder Softwareentwicklung, sind im Regelfall wenig mit den regulatorischen Anforderungen an Medizinprodukte vertraut, so dass sich hier eine weitere Hürde ergibt.
Empfehlungen:
- Es gibt unterschiedliche Förderprogramme, die Erforschung und Entwicklung von Gesundheitstechnologie vorwettbewerblich mit Zuschüssen fördern. Vorbereitende Arbeiten, die der späteren Zulassung als Medizinprodukt dienen, sind ebenfalls vorwettbewerblich und risikobehaftet, aber oft nicht oder in nicht ausreichendem Umfang förderfähig. Daher sollten Förderrahmenbedingungen dahingehend gestaltet werden, dass vorbereitende, regulatorische Arbeiten förderfähig sind. Dieser "Compliance-by-Design" Ansatz sollte obligatorischer Bestandteil aller anwendungsorientierten Förderprogramme sein, die Gesundheitstechnologien zum Gegenstand haben.
- Um die Transfer- bzw. Translationswahrscheinlichkeit biomedizintechnischer Forschungs- und Entwicklungsergebnissen zu erhöhen, ist es entscheidend, medizinisch-klinische Expertise in Form klinischer Studien einzubeziehen. Die europäische Medizinprodukteverordnung hat hier zu zusätzlichen regulatorischen Hürden geführt. Das Medizinforschungsgesetz von 2024 enthält zwar Verbesserungen, welche die Durchführung industrieunabhängiger klinischer Studien (Investigator Initiated Trials, IIT) befördern können, allerdings sind mehr Fördergelder in Verbindung mit intelligenten Förderkonzepten erforderlich, um den Umfang und Nutzen von IIT zu erhöhen. Hier bieten sich etwa Translationskonzepte in Form regionaler und nationaler Translationszentren oder Studiennetzwerke sowie Public-Private-Partnership (PPP)-Modelle an. Ferner erscheint in Deutschland ein „Kulturwandel“ erforderlich, der dazu führt, dass entsprechende Spin-Off-Aktivitäten und Translationsvorhaben stärker als Chance und weniger als Risiko begriffen werden.
- Biomedizinische Technik ist eine interdisziplinäre Fachrichtung, die Forschung, Entwicklung und Transfer gleichermaßen umfasst. Dabei treffen unterschiedliche Fachrichtungen, Kompetenzen, Rahmenbedingungen und Anforderungen aufeinander. In diesem anspruchsvollen Umfeld müssen Forschung und Entwicklung so früh wie möglich und so strategisch wie möglich entlang der gesamten biomedizintechnischen Wertschöpfungskette ausgerichtet werden, um den Erfolg Deutschlands im internationalen Wettbewerb um Ideen und Innovationen zu sichern. Daher schlagen wir die Schaffung einer Task Force der Bundesregierung unter Einbeziehung von Forschungseinrichtungen technischer und medizinischer Disziplinen, der Industrie und der Selbstverwaltung vor, mit dem Ziel, eine kohärente, ressortübergreifende Innovationsstrategie der biomedizinischen Technik zu entwickeln.
2. Digitalisierung und Vernetzung
Eine digitalisierte und intelligent vernetzte Gesundheitsversorgung macht relevante Gesundheitsdaten am richtigen Ort zur richtigen Zeit verfügbar, so dass diese bestmöglich genutzt werden können. Ziel ist es, Qualität, Effizienz und Zugänglichkeit von Gesundheitsleistungen zu verbessern. Deutschland ist hier im internationalen Vergleich im Rückstand. Um eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung in Deutschland zu sichern, führt kein Weg an einer umfassenden Digitalisierung auf allen Ebenen vorbei. Dies ist ebenfalls Grundlage für die Anschlussfähigkeit des Gesundheitsstandorts Deutschland bei der Erforschung und Entwicklung neuer biomedizintechnischer und digitaler Innovationen. Wir setzen uns daher für Rahmenbedingungen ein, welche die Digitalisierung aller relevanten Bereiche der Gesundheitsversorgung schnellstmöglich voranbringen.
Empfehlungen:
- Eine digitale Gesundheitsversorgung ist nur mit Medizintechnik in Verbindung mit digitalen medizinischen Lösungen realisierbar. Hardware, Software und Datenverarbeitung müssen dabei Hand in Hand gehen, indem Daten am Point-of-Care erfasst und verarbeitet werden. Die elektronische Patientenakte (ePA) als Teil der Telematikinfrastruktur (TI) markiert hier einen wichtigen Fortschritt. Das Potenzial der ePA muss dabei voll ausgeschöpft werden, indem perspektivisch alle relevanten Gesundheitsdaten integrierbar sein sollten, d.h. auch Daten von vernetzten Medizinprodukten, deren Nutzung Bestandteil einer medizinischen Behandlung ist.
- Daten aus der Gesundheitsversorgung können einen Nutzen für die biomedizintechnische Forschung haben und der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden dienen. Daher befürworten wir die Schaffung eines sicheren und datenschutzkonformen Zugangs zu diesen Daten in Verbindung mit klaren rechtlichen Rahmenbedingungen für deren Nutzung für Forschungszwecke. Das im Aufbau befindliche Forschungsdatenzentrum (FDZ) sowie der geplante europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) sind in diesem Zusammenhang vielversprechende Instrumente. Im Sinne der Transparenz muss der Einzelne klar nachvollziehen können, welche Daten erfasst, gespeichert und genutzt werden. Dazu bedarf es eines uneingeschränkten Zugangs der Patienten zu ihren Gesundheitsdaten, verbunden mit der Möglichkeit, der Datennutzung für Forschungszwecke zu widersprechen.
- Generell ist die Umsetzung digitaler Konzepte essenziell für ein zukunftsfähiges und effizientes Gesundheitssystem. Digitale Lösungen wie Telemedizin können Versorgungslücken schließen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessern. Künstliche Intelligenz (KI) kann die Diagnostik und Behandlung von Krankheiten unterstützen, den Verwaltungsaufwand reduzieren und medizinisches Fachpersonal entlasten. Daher ist für die nahtlose Integration solcher digitalen Anwendungen in die Versorgung darauf zu achten, dass diese interoperabel sind und die einschlägige, international anerkannten Interoperabilitätsstandards Beachtung finden. Zudem muss eine bundeseinheitliche Auslegung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in der Gesundheitsversorgung unabhängig etwaiger föderaler Zwänge erfolgen.
3. Technologie und Innovation
Technologische Innovationen helfen die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Doch Überregulierung, bürokratische Hürden und begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten bremsen die Entwicklung neuer Ideen und Produkte. Betroffen sind vor allem junge, kleine und mittelgroße Unternehmen. Sie haben nur begrenzte Ressourcen an Kapital und Kompetenz und verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Auch Start-Ups und Newcomern wird es schwer gemacht. Es ist sowohl im medizinischen als auch im gesellschaftlichen Interesse, dass innovative Medizintechnik auch in Zukunft eine Chance hat, die Gesundheitsversorgung zu erreichen und Menschen zu helfen. Wir setzen uns daher für Rahmenbedingungen ein, die biomedizintechnische Innovationen durch Entbürokratisierung auf allen möglichen Ebenen sowie durch intelligente Förderung und Finanzierung beschleunigen.
Empfehlungen:
- Weniger Regulierung und weniger Bürokratie beschleunigen Innovation. Überbordende Dokumentationspflichten und komplexe Antragsverfahren binden Ressourcen in Unternehmen, die für Innovation und Entwicklung fehlen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen und Startups leiden unter der Vielzahl von Regulierungen aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen. Daher ist eine konsequente Prüfung erforderlich, ob und wie übermäßige Regulierung und entsprechende Umsetzungsbürokratie zurückgenommen werden können. Diese Prüfung muss alle Akteure der Gesundheitsversorgung in einem strukturierten Prozess einbeziehen. Zudem muss darauf geachtet werden, dass es nicht zu gesetzlichen oder verwaltungstechnischen Doppelanforderungen kommt, wie sie sich derzeit zum Beispiel bei den europäischen Verordnungen über Medizinprodukte und Künstliche Intelligenz abzeichnen.
- Vor allem junge, kleine und mittlere Unternehmen benötigen Unterstützung, damit sie innovative Biomedizintechnik erforschen, entwickeln und vermarkten können. Hier sollten zum einen die Systematik und Genese der vorhandenen Förderprogramme auf den Prüfstand gestellt werden, etwa mit Blick auf thematische Schwerpunkte, Förderfähigkeit von Arbeiten, Projektlaufzeiten, oder finanzielle Hinterlegung. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die mittlerweile zwingend erforderliche regulatorische Kompetenz in ausreichendem Umfang eingebunden werden kann. Insgesamt bedarf es gezielter und planungssicherer Förderprogramme mit ausreichender Finanzierung, die zu den interdisziplinären Anforderungen der Gesundheitstechnologien von morgen passen. Auch der Zugang zu Beteiligungskapital spielt für forschende und entwickelnde Unternehmen eine wichtige Rolle und sollte in Deutschland im Bereich der Gesundheitstechnologien gestärkt werden.
- Gegenwärtig gibt es keine kohärente Standortstrategie für Gesundheitstechnologie in Deutschland. Dies wird weder den aktuellen Herausforderungen an die Gesundheitsversorgung noch der Bedeutung der Gesundheitstechnologie gerecht. Damit besteht die Gefahr, dass Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückfällt. Notwendig ist hier ein deutlich höheres politisches Engagement. Daher empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE, eine entsprechende Strategie der Bundesregierung aufzusetzen, die alle relevanten Akteure und Disziplinen berücksichtigt und zu einem ressortübergreifenden Diskursformat einlädt. Ziel muss es sein, die Bedarfe der Gesundheitstechnologie in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung und bei standortbezogenen Reformvorhaben einzubeziehen.
4. Sicherheit und Resilienz
Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Gesundheitsversorgung können durch unterschiedliche Faktoren beeinträchtigt werden. Dazu gehören ein Mangel an Personal, wirtschaftliche Unsicherheiten, Konflikte, Katastrophen oder auch politische Instabilität. Die Auswirkungen solcher krisenhaften Ereignisse sind vielfältig. Lieferketten für medizinische Produkte und Medikamente können gestört werden, Cyberangriffe können kritische IT-Infrastrukturen lahmlegen oder es kann zu einem Massenanfall von Patienten etwa bei Naturkatastrophen kommen. Doch auch eine nicht ausreichende Finanzierung von Leistungen, die Nicht-Verfügbarkeit bestimmter Fachkräfte oder eine fehlende digitale Infrastruktur können zu Engpässen und Problemen bei der Versorgung führen. In Krisenfällen, wie z. B. Pandemien, wird die Situation durch die steigende Nachfrage nach medizinischen Ressourcen noch verschärft. Zudem kann es zu Behinderungen der internationalen Zusammenarbeit und des Austausches von medizinischem Wissen und Technologien kommen. Insbesondere durch die geänderte geopolitische Lage sowie durch den Klimawandel ist die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse in Deutschland stark gestiegen. Wir setzen uns daher für die Schaffung einer resilienten und sicheren Gesundheitsversorgung in Deutschland ein. Dem Einsatz von Technologie und Digitalisierung kommt hier eine Schlüsselrolle zu, etwa bei der Versorgungssteuerung, der Sicherung von Lieferketten und der Bereitstellung erforderlicher medizinischer Güter.
Empfehlungen:
- Der Fachkräftemangel in der Gesundheitsversorgung wird sich absehbar weiter verschärfen. Davon ist nicht nur die medizinische oder pflegerische Versorgung betroffen, sondern auch die biomedizinische Technik. Hinzu kommen neue bzw. weitergehende Anforderungen an die Kompetenzprofile. Daher sprechen wir uns für eine breit angelegte Bildungsoffensive sowohl in den medizinischen als auch naturwissenschaftlich-technischen Fächern aus, um die Verfügbarkeit erforderlicher Kompetenzen qualitativ und quantitativ zu erhöhen. Dazu gehört auch die Verbesserung der entsprechenden digitalen Infrastruktur. Für eine qualitätsgesicherte Aus- und Weiterbildung im Bereich der biomedizinischen Technik bedarf es zudem einer Förderung über Bundeslandgrenzen hinweg, um Open-Source-Inhalte zu erstellen, Chatbot- und KI-Unterstützung einzubinden und Weiterbildungsformate wie Blended-Learning zu realisieren. Mit Blick auf die Kompetenzvermittlung schlagen wir ferner vor, neue Ausbildungsberufe und Qualifikationsprofile zu entwickeln, die biomedizintechnischen Sachverstand intersektoral bei den beteiligten Akteuren einbringen können.
- Zentrale Reformbedarfe der Gesundheitsversorgung in Deutschland betreffen die ausreichende Finanzierung von Investitionen im stationären Behandlungssektor, die Notwendigkeit, Gesundheitsleistungen verstärkt im ambulanten Sektor zu erbringen und die Erhöhung der Versorgungseffizienz durch eine verbesserte Patienten- bzw. Versorgungssteuerung. Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE sind die entsprechenden Reformen schnellstmöglich voranzubringen. Der Reformnutzen besteht dabei nicht nur darin, die Gesundheitsversorgung in Zeiten des demografischen Wandels und knapper werdenden Geldes zu sichern, sondern auch, deren Belastbarkeit und Resilienz bei krisenhaften Ereignissen zu erhöhen. Je dezentraler Leistungen erbracht werden können und je intelligenter eine Versorgungssteuerung erfolgen kann, desto sicherer und resilienter ist die Versorgung im Krisenfall. Daher ist bei der Umsetzung entsprechender Reformen das Ziel einer sicheren und resilienten Gesundheitsversorgung in alle Planungen einzubeziehen. Gesundheitstechnologien, insbesondere in Verbindung mit KI basierten Konzepten, sind hier Teil der Lösung und sollten im Zuge der vorgeschlagenen gemeinsamen Strategieentwicklung (siehe 3.) direkt einbezogen werden.
- Die Sicherstellung stabiler Lieferketten ist eine zentrale Herausforderung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Während der Corona-Pandemie ist die Abhängigkeit von globalen Lieferketten deutlich zutage getreten. Medizinische Güter müssen auch im Krisenfall in ausreichendem Maße verfügbar sein. Daher gilt es, die Autonomie Deutschlands und Europas in Bezug auf die Produktion kritischer Güter durch gezielte politische Unterstützung zu stärken. Dazu gehört auch, Lieferketten zu diversifizieren. Das Ziel, Abhängigkeiten zu verringern, gilt im Kontext biomedizintechnischer Forschung auch für qualitäts- oder schutzrechtskritische Komponenten. Ferner plädieren wir für die Einrichtung flexibler Lagerhaltungssysteme für kritische medizinische Güter, die beispielsweise durch eine KI basierte, intelligente Bestandsverwaltung so effizient wie möglich bewirtschaftet werden können.
- Der Klimawandel ist langfristig die größte Bedrohung für die Gesundheit. Eine sichere und resiliente Gesundheitsversorgung muss die resultierenden Auswirkungen daher berücksichtigen. Zum einen müssen entsprechende umweltmedizinische Aspekte, wie zum Beispiel bei Hitzeschutz oder Infektionserkrankungen, stärker in die Erforschung und Entwicklung innovativer Behandlungsmethoden und Gesundheitstechnologien einbezogen werden. Zum anderen muss es das Ziel sein, zu einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Gesundheitsversorgung zu kommen. Daher sollte Nachhaltigkeit zu einem zentralen Anliegen auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung werden. Dies beinhaltet klimaneutrale Herstellungsprozesse, Abfallminimierung, Energieverbrauchsoptimierung, Wiederverwendbarkeit oder Reparierbarkeit. Auch strukturelle Veränderungen in der Versorgung, wie etwa der Abbau von Doppelstrukturen oder eine verstärkte Digitalisierung von Leistungen, sind geeignet. Allerdings können KI basierte digitale Dienste aufgrund der erforderlichen Rechenleistungen mit einem sehr hohen Energieverbrauch einhergehen. Dies muss in die Gesamtbilanz einbezogen werden.