DigitalGipfel2024-0026
Milton Arias / VDE
30.10.2024 Publikation

Interview mit Verkehrsminister Dr. Volker Wissing

Verkehrsminister Dr. Volker Wissing zu klimaneutraler Mobilität, digitalen Technologien (KI) und dem Transformationsprozess der deutschen Automobilindustrie und Chancen, wie durch die Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie der Wandel hin zu Automatisierung und Digitalisierung im Verkehr aktiv gestaltet werden kann.

VDE: Während in großen Teilen Europas die Zulassungszahlen für Elektromobilität weiter steigen, sind diese in Deutschland in den letzten Monaten zurückgegangen (Anmerkung: Nur Italien und Schweden liegen dahinter). Erleben wir aktuell eine „Stagnation der Elektromobilität“ in Deutschland? Welche Rolle spielt dabei auch der kurzfristige Wegfall der Förderung?

Dr. Wissing: Der Erfolg einer Technologie kann nicht auf der dauerhaften Verfügbarkeit von Fördermitteln basieren. Mit finanziellen Anreizen wie dem Umweltbonus und unserer Förderrichtlinie Elektromobilität haben wir die Elektromobilität in den vergangenen Jahren maßgeblich vorangebracht. Jetzt ist es Aufgabe der Automobilindustrie, die Modellvielfalt zu erhöhen und zu attraktiven Preisen anzubieten.

Wir unterstützen den flächendeckenden, bedarfsgerechten und nutzungsfreundlichen Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland. Denn nur so gelingt es uns, die Menschen von der E-Mobilität zu überzeugen. Aktuell haben wir in Deutschland 130.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte in Betrieb. Damit haben wir die Anzahl an Lademöglichkeiten seit meinem Amtsantritt um 160 Prozent gesteigert, die insgesamt installierte Ladeleistung sogar um 225 Prozent von 2,0 auf 6,5 Gigawatt. Damit gehen wir weit über die EU-Vorgaben hinaus und nehmen den Menschen die Reichweitenangst.

Kontakt
Dr. Ralf Petri
Dennis Heusser
DigitalGipfel2024-0065

Verkehrsminister Dr. Volker Wissing betont Fortschritte beim Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Wichtigkeit einer Technologieoffenheit für klimaneutrale Mobilität während des Gesprächs mit Dr. Ralf Petri.

| Milton Arias / VDE

VDE: Sie selbst sind einer der Kritiker des „Verbrenneraus“. Muss Europa eine komplett neue Mobilitätspolitik betreiben und was erwarten sie als deutscher Verkehrsminister von der EU-Kommission?

Dr. Wissing: Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass nicht die Politik entscheiden sollte, welche Form der klimaneutralen Mobilität sich durchsetzt, sondern der Markt. Statt bestimmte Technologien einseitig zu fördern, sollten wir optimale Rahmenbedingungen schaffen für einen fairen Wettbewerb der besten Technologien. Was wir brauchen, sind bedarfsgerechte, klimafreundliche und digitale Mobilitätsangebote im Personen- und Güterverkehr.

Ein wichtiger Hebel dafür sind alternative Antriebe und Kraftstoffe für Pkw und Nutzfahrzeuge. Dabei ist es wichtig, dass wir technologieoffen bleiben. Wir haben uns auf EU-Ebene erfolgreich dafür eingesetzt, dass die EU- Kommission unter Euro 7 auch über 2035 hinaus eine Perspektive für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor schafft, die ausschließlich mit CO2 neutralen Kraftstoffen betrieben werden. Über die Ausgestaltung der Genehmigungsvorschriften für sogenannte „E-Fuels-only“-Fahrzeuge wird bereits in Brüssel intensiv beraten. Bis Ende des Jahres werden Lösungsvorschläge der Industrie erwartet.

"Wir senden ein klares Signal an den Markt, dass wir auf klimafreundliche Kraftstoffe setzen."

VDE: Die Debatten um das Antriebsportfolio der Zukunft, siehe dazu auch die gleichnamige VDE Studie, sind aktueller denn je. E-Fuels werden demnach ab dem Jahr 2035 hauptsächlich in Bestandsfahrzeugen, Sportwagen und Oldtimern („Nische“) genutzt werden. Vor allem in Sachen Bestandsfahrzeuge müssen die vielen Menschen mitgenommen werden, die sich keinen regelmäßigen Neuwagenkauf leisten können/ wollen. Wie ist Ihre Einschätzung?

Dr. Wissing: In Deutschland haben wir aktuell mehr als 40 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Selbst bei einer beschleunigten Elektrifizierung werden Verbrennerautos nicht von heute auf morgen von den Straßen verschwinden. Wir tun gut daran, auch für diese Fahrzeuge klimaneutrale Optionen zu schaffen. Mit erneuerbaren Kraftstoffen, also fortschrittlichen Biokraftstoffen wie HVO 100 und perspektivisch auch E-Fuels, können auch Bestandsfahrzeuge ihren Beitrag zur Dekarbonisierung leisten.

Erneuerbare Kraftstoffe werden aktuell im nationalen Rahmen über die Treibhausgasminderungs-Quote gefördert. Auch der künftig steigende CO2-Preis für fossile Kraftstoffe ist eine indirekte Förderung von klimafreundlichen Alternativen wie HVO 100. Als Ressortchef habe ich durchgesetzt, dass dieser besonders hochwertige und effiziente Dieselkraftstoff und auch E-Diesel in Reinform für den Verkauf zugelassen werden, wie das in vielen Nachbarländern schon seit langem der Fall ist. Wir senden ein klares Signal an den Markt, dass wir auf klimafreundliche Kraftstoffe setzen.

Teaser Automobilstandort Studie

Paar in einem Auto Big City
corepics / stock.adobe.com
29.04.2024 Studie

Vor welchen Herausforderungen steht die deutsche Automobilindustrie? Kommen preiswerte E-Autos für den Massenmarkt bis 2035 hauptsächlich aus China? Wie kann der Fachkräftemangel behoben werden? Diese und weitere Fragen werden in der neuen VDE Studie beantwortet. Hierfür hat der VDE hochrangige Führungskräfte und Unternehmenschefs aus verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette sowie Politikerinnen und Politiker befragt. Darunter Vertreter*innen von Automobilherstellern, Zulieferern, Batterieproduzenten oder aus Forschung und Entwicklung.

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VDE: Wie gut ist aus Ihrer Sicht die deutsche Automobilindustrie für die Herausforderungen der Zukunft aufgestellt? 

Dr. Wissing: Die Automobilindustrie befindet sich in einer so noch nicht dagewesenen Transformationsphase. Alternative Antriebe, Digitalisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz verändern das ursprüngliche Konzept des Automobils grundlegend und damit auch die gesamte Automobilindustrie. Hinzu kommen neue Anbieter – insbesondere aus Asien – und ein sich grundlegend wandelndes Kundenverhalten. In dieser hochkomplexen Transformationssituation muss die deutsche Automobilindustrie auf unterschiedliche Bedarfe und Herausforderungen weltweit jeweils eigene Antworten für viele verschiedene Anforderungen an Mobilität und unterschiedliche vorhandene Verkehrsinfrastrukturen geben. Das zu meistern gelingt mit Mut, Kreativität und Leidenschaft sowie der Weitsicht und Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie.

"Deutschlands Chancen liegen in seinen gut ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieuren und in seiner Innovationskraft"

VDE: Die Automobilindustrie ist einer der bedeutendsten Industriezweige in Deutschland. Wird das auch in Zukunft so bleiben? Wo sehen Sie die größte Konkurrenz für den Automobilstandort Deutschland bzw. in welchen Bereichen drohen wir als Automobilnation den Anschluss zu verlieren? Wo sehen Sie die größten Chancen?

Dr. Wissing: Die deutsche Automobilindustrie muss den Wandel hin zu Automatisierung und Digitalisierung sowie klimaneutralen Antriebstechnologien im Verkehr aktiv gestalten. Wir unterstützen sie dabei – indem wir Innovationen fördern, damit neue Technologien schnell in die Märkte kommen. Aktuell sehen wir starke Konkurrenz aus Amerika und Asien. Tesla hat als Pionier den E-Automarkt kräftig aufgemischt. Deutsche und europäische Hersteller haben in den vergangenen Jahren aber mit sehr guten Produkten nachgelegt und werden in der nächsten Zeit noch sehr viel mehr bringen. Beim elektrischen Lkw mit Batterie und Brennstoffzelle sind die deutschen Hersteller auch schon gut dabei. Zum Jahresende startet die Serienproduktion bei Daimler und MAN für die Langstrecken-Lkw. Wir flankieren das mit dem Aufbau von Lade- und Tankinfrastruktur. Hier sind wir schon ein gutes Stück vorangekommen. Auch chinesische Unternehmen haben beträchtliche Fortschritte gemacht, z.B. bei der Entwicklung und Produktion von Batterien. Deutschland und Europa müssen hier rasch nachziehen und investieren. Initiativen wie die Europäische Batterien-Allianz zeigen, wie durch Kooperation auf europäischer Ebene wichtige Zukunftstechnologien vorangetrieben werden können.

Deutschlands Chancen liegen in seinen gut ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieuren und in seiner Innovationskraft. Die deutschen Automobilhersteller genießen weltweit einen hervorragenden Ruf. Sie stehen für Qualität und Zuverlässigkeit. Diese Reputation ist ein Pfund, auf dem wir aufbauen müssen, um neue Technologien erfolgreich auf den Markt zu bringen. Aber auch der Einsatz von Wasserstoff- und Brennstoffzellen sowie E-Fuels haben ein großes Potenzial für den Industriestandort Deutschland. Wir fördern beispielsweise mit rund 130 Millionen Euro die Technologieplattform PtL-Kraftstoffe in Leuna. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird dort eine Demonstrationsanlage für PtX-Kraftstoffe errichten.

DigitalGipfel2024-0030

Dr. Volker Wissing: "Als weltweit erstes Land haben wir einen umfassenden Rechtsrahmen für autonomes Fahren geschaffen. Auch in der Praxis gehören wir weltweit zu den führenden Nationen."

| Milton Arias / VDE

"Als weltweit erstes Land haben wir einen umfassenden Rechtsrahmen für autonomes Fahren geschaffen."

VDE: Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine der Schlüsseltechnologien überhaupt und kann vielseitig eingesetzt werden, auch im Verkehrssektor: In der Fahrzeugproduktion, Entwicklung, Energiemanagement oder Kommunikation mit dem Fahrer, um nur einige Beispiele zu nennen. In USA und China sind autonom fahrende Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen bereits heute Normalität. Wie kann auch Deutschland in diesem Bereich aufholen und eine führende Rolle einnehmen? Wo sehen Sie das größte Potential für Künstliche Intelligenz?

Dr. Wissing: Künstliche Intelligenz ist von entscheidender Bedeutung, um autonome Fahrzeuge auf die Straße zu bringen. Digitale Technologien ermöglichen es, die Sicherheit und Effizienz im Straßenverkehr weiter zu erhöhen. Dafür müssen KI-Anwendungen kontinuierlich weiterentwickelt werden, etwa wenn es darum geht, Daten für eine schnelle und zuverlässige Umfelderkennung zu verarbeiten.

KI kann uns aber auch dabei unterstützen, die Cybersicherheit automatisierter und vernetzter Fahrzeuge zu erhöhen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Dafür muss die KI-Entwicklung nicht nur kontinuierlich vorangetrieben werden, sondern es ist auch erforderlich, technische Maßnahmen gegen gezielte Angriffe und Fehlfunktionen zu ergreifen.

Deutschland ist hier schon sehr weit. Als weltweit erstes Land haben wir einen umfassenden Rechtsrahmen für autonomes Fahren geschaffen. Auch in der Praxis gehören wir weltweit zu den führenden Nationen. Im Sommer ist in Darmstadt und im Kreis Offenbach das Projekt KIRA gestartet, ein Forschungsvorhaben für einen KI-basierten On-Demand-Shuttleservice. Erstmals kommen dabei Fahrzeuge mit der Automatisierungsstufe „Level 4“ im normalen Straßenverkehr zum Einsatz, vorerst noch ohne Passagiere. Demnächst können sich interessierte Bürgerinnen und Bürger als Testnutzerinnen und Testnutzer bewerben und die Shuttles dann über eine App buchen. Das KIRA-Projekt macht deutlich, welches Potenzial autonome Fahrzeuge haben und wie wichtig dabei der Einsatz von KI ist.

VDE E-Mobility Conference 2024

VDE-Illustration zum Thema Mobilität
VDE
06.11.2024 Frankfurt, Germany

Im Rahmen der Elektromobilitätskonferenz diskutieren Branchenexpert*innen über Chancen und Herausforderungen der Elektromobilität, Ladeinfrastruktur und Stromnetze und wagen einen Blick in die Zukunft der Mobilität.

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VDE Mobility Interviews

Dr. Gerrit Marx (l.) im Interview mit Dr. Ralf Petri (r.)

Dr. Gerrit Marx (l.) im Interview mit Dr. Ralf Petri (r.)

| foto.text/Richard Kienberger
25.01.2024

Die Mobilitätsbranche befindet sich im Umbruch: Neue Player und neue Konzepte drängen auf den Markt und auch die Digitalisierung sorgt für neue Impulse. Dr. Ralf Petri, Geschäftsbereichsleiter Mobility beim VDE, beleuchtet mit namhaften Vertretern aus dem Mobilitätssektor Chancen und Herausforderungen für die Branche.

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