VDE: Sie selbst sind einer der Kritiker des „Verbrenneraus“. Muss Europa eine komplett neue Mobilitätspolitik betreiben und was erwarten sie als deutscher Verkehrsminister von der EU-Kommission?
Dr. Wissing: Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass nicht die Politik entscheiden sollte, welche Form der klimaneutralen Mobilität sich durchsetzt, sondern der Markt. Statt bestimmte Technologien einseitig zu fördern, sollten wir optimale Rahmenbedingungen schaffen für einen fairen Wettbewerb der besten Technologien. Was wir brauchen, sind bedarfsgerechte, klimafreundliche und digitale Mobilitätsangebote im Personen- und Güterverkehr.
Ein wichtiger Hebel dafür sind alternative Antriebe und Kraftstoffe für Pkw und Nutzfahrzeuge. Dabei ist es wichtig, dass wir technologieoffen bleiben. Wir haben uns auf EU-Ebene erfolgreich dafür eingesetzt, dass die EU- Kommission unter Euro 7 auch über 2035 hinaus eine Perspektive für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor schafft, die ausschließlich mit CO2 neutralen Kraftstoffen betrieben werden. Über die Ausgestaltung der Genehmigungsvorschriften für sogenannte „E-Fuels-only“-Fahrzeuge wird bereits in Brüssel intensiv beraten. Bis Ende des Jahres werden Lösungsvorschläge der Industrie erwartet.
"Wir senden ein klares Signal an den Markt, dass wir auf klimafreundliche Kraftstoffe setzen."
VDE: Die Debatten um das Antriebsportfolio der Zukunft, siehe dazu auch die gleichnamige VDE Studie, sind aktueller denn je. E-Fuels werden demnach ab dem Jahr 2035 hauptsächlich in Bestandsfahrzeugen, Sportwagen und Oldtimern („Nische“) genutzt werden. Vor allem in Sachen Bestandsfahrzeuge müssen die vielen Menschen mitgenommen werden, die sich keinen regelmäßigen Neuwagenkauf leisten können/ wollen. Wie ist Ihre Einschätzung?
Dr. Wissing: In Deutschland haben wir aktuell mehr als 40 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Selbst bei einer beschleunigten Elektrifizierung werden Verbrennerautos nicht von heute auf morgen von den Straßen verschwinden. Wir tun gut daran, auch für diese Fahrzeuge klimaneutrale Optionen zu schaffen. Mit erneuerbaren Kraftstoffen, also fortschrittlichen Biokraftstoffen wie HVO 100 und perspektivisch auch E-Fuels, können auch Bestandsfahrzeuge ihren Beitrag zur Dekarbonisierung leisten.
Erneuerbare Kraftstoffe werden aktuell im nationalen Rahmen über die Treibhausgasminderungs-Quote gefördert. Auch der künftig steigende CO2-Preis für fossile Kraftstoffe ist eine indirekte Förderung von klimafreundlichen Alternativen wie HVO 100. Als Ressortchef habe ich durchgesetzt, dass dieser besonders hochwertige und effiziente Dieselkraftstoff und auch E-Diesel in Reinform für den Verkauf zugelassen werden, wie das in vielen Nachbarländern schon seit langem der Fall ist. Wir senden ein klares Signal an den Markt, dass wir auf klimafreundliche Kraftstoffe setzen.