VDE: Lassen Sie uns auf die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Marelli eingehen. Was ist denn aktuell in der Pipeline oder wo schauen Sie hinsichtlich der Entwicklung zurzeit ganz genau hin?
Fetzer: Marelli entwickelt, fertigt und verkauft Elektromotoren. Zusätzlich arbeiten wir an der Integration von Elektroautogetrieben, sogenannten E-Achsen und sind auch im Bereich Batteriemanagementsysteme tätig, welche bereits in verschiedenen Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Zudem beschäftigen wir uns mit der Entwicklung weiterer Komponenten, wie z.B. Onboard-Charger oder DC/DC-Wandler. Wir arbeiten auch an neuartigen Antriebskonzepten, welche das Management der Batterie, aber auch die Wandlung DC/AC und AC/DC grundlegend verändern werden. Hierdurch versprechen wir uns erhebliche Vorteile bei der Effizienz sowie beim Packaging – beispielsweise in Kooperation mit der Firma Transphorm, die sich auf die Entwicklung und Fertigung von Galliumnitrid-Leistungsbausteine fokussiert haben.
VDE: Es gibt sehr viele Firmen, die in den Feldern Elektromotor und Inverter unterwegs sind. Bosch haben Sie als einer der Konkurrenten angesprochen. Sagen Sie uns doch, was macht den Marelli-Ansatz so besonders?
Fetzer: Marelli hat 2008 als erste Firma weltweit mit dem Thema Hairpin begonnen. Und zwar damals für die Formel 1. Hier wurden für die KERS-Systeme hochleistungsfähige Elektromotoren gesucht und Marelli hat diese geliefert. Diese Hairpin-Technologie hat Marelli 2019 erstmals in Serie gebracht – in einem Sportwagen. Insofern besitzen wir die Fähigkeit, Highend-Technologien aus der Formel 1 und damit neue innovative Ansätze aus dem Motorsport auch in den Massenmarkt zu bringen – siehe Hairpin – das zeichnet Marelli aus und ist unsere besondere Stärke.
VDE: Wenn man aktuell als Nutzer der Elektromobilität unterwegs ist, hat man immer ein wenig das Problem mit der Ladeinfrastruktur. Finde ich eine Ladesäule, ist diese mit meinem Fahrzeug kompatibel? Gibt es von Marelli Pläne, dieses Thema aufzugreifen oder konzentriert man sich rein auf die Fahrzeugseite?
Fetzer: Wir konzentrieren uns rein auf die Fahrzeugseite. Natürlich unterstützen wir unsere Kunden und auch Gremien mit Ideen, aber operativ auf Komponentenebene bzw. Produktentwicklung sind wir nicht aktiv. Das ist eine bewusste Entscheidung, weil wir uns auf den OE Markt (Original Equipment) fokussieren möchten.
VDE: Elektromobilität ist sicherlich ein Megatrend, der auch ein Stückweit auf die Dekarbonisierung zurückzuführen ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Thema Vernetzung: autonomes Fahren, Fahrerassistenzsysteme, Shared Mobility etc.; Verfolgt Marelli hier Ansätze, in den Markt einzusteigen bzw. dieses Feld zu bedienen?
Fetzer: Wir arbeiten daran, vollautomatisiertes Fahren (Level 4) bzw. in der Zukunft auch autonomes Fahren (Level 5) mit Sensortechnologie zu unterstützen und kooperieren hier mit chinesischen Herstellern für Radarsensoren. Daran anknüpfend haben wir weitere Kooperationen mit Startups im Bereich Lidar-Technologie, investieren und entwickeln auch serienfähige Lösungen. Dabei schauen wir uns auch die Software für die Sensorauswertung bzw. für die Objektklassifizierung an, die wir herstellen möchten.
Marelli ist mit Automotive Lighting einer der weltweit führenden Hersteller von Lichttechnik. Wir integrieren die Sensortechnik im Frontbereich der Fahrzeuge. Beim Elektroauto muss an dieser Stelle keine Kühlung mehr erfolgen, weil diese nicht mehr benötigt wird. Bei Automobilherstellern wie Mercedes-Benz wird der Frontbereich gerade zum Styling-Element und wird erweitert um Lichtfunktionen wie Light Base uvm., in die wir dann wieder unsere Sensoren integrieren.
VDE: Beim Thema autonomes Fahren streiten sich die Experten darüber, ob sich Videosensoren oder doch die Lidar-Technologie durchsetzen wird. Auf welcher Seite steht Marelli?
Fetzer: Da gibt es tatsächlich viele Meinungen. Und Elon Musk (Tesla) hat wohl die extremste Sicht von allen: Demnach reichen für vollautomatisiertes Fahren acht Videokameras aus. Unternehmen wie Waymo oder Cruise sagen dagegen, dass autonomes Fahren verschiedene Sensoren braucht, darunter auch Lidar- (Light detection and ranging), Radar- und Ultraschallsensoren sowie Videokameras. Angeblich werden in den USA Tesla-Modelle für vollautomatisiertes Fahren vorbereitet. Radarsensoren sollen dabei allerdings keine Verwendung finden. Herr Musk muss also schon über Hinweise verfügen, dass das, was er da behauptet, auch funktionieren kann. Andernfalls würde er nicht so handeln.
Bei der Betrachtung sollten immer auch die Anwendungsfälle im Blick behalten werden. Nehmen wir z.B. Level 5: Fahren ohne Lenkrad und ohne Pedale. Das Fahrzeug fährt also autonom. Welche Sensoren es hierfür braucht, kann ich aktuell nicht abschließend beurteilen. Mir erscheint die Kameratechnologie dabei als große Herausforderung: Was mache ich z.B. bei Nebel? Muss ich dann das Auto abstellen? Mehrere Radar- bzw. Lidar-Systeme wären hier sicherlich hilfreich.
Vieles hängt auch von den Fähigkeiten der Erkennungs- bzw. Verarbeitungssoftware ab. Was lässt sich in diesem Kontext in Sachen KI (Künstliche Intelligenz) & Machine Learning implementieren? Und wie viel Unterstützung braucht es über Edge Computing – also 5G/6G aus der Cloud. Waymo und Cruise haben hier eine klare Strategie: Sie brauchen keine Edge-Anbindung. Dafür haben sie aber einen enormen Aufwand an Sensoren und entsprechender Verarbeitungstechnologie, um autonom fahren zu können. Dass dies funktionieren kann, belegen erste Demonstrationsprojekte in San Francisco. Das ist aber sicherlich kein Fahrzeug für die Serienfertigung, weil die Alltagstauglichkeit (noch) nicht gegeben ist. Und abschließend stellt sich in den nächsten Jahren sicherlich auch sich die Frage, wie viel User Experience es beim automatisierten Fahren für den Einzelnen brauchen wird?
Einen Sportwagen mit einem vollautomatisierten Fahrsystem auszurüsten, macht keinen Sinn. Unterstützung bei Alltagsfahrten, indem vor Gefahrensituationen gewarnt wird, das E-Auto automatisiert abbremst oder Lenkeingriffe vorgenommen werden, dagegen schon viel eher. All das erhöht die Sicherheit im Straßenverkehr. Es wird spannend zu beobachten sein, in welchen Anwendungsfällen sich voll automatisiertes und autonomes Fahren durchsetzen werden.