Interview mit dem CTIO von Marelli

Marelli steht für Performance und Personality, so der Chief Technology and Innovation Officer, Dr. Joachim Fetzer.

| Heusser / VDE
01.07.2022 Webinhalt TOP

CTIO von Automobilzulieferer Marelli: "Einst undenkbare Dinge sind möglich – dank neuer Zukunftstechnologien basierend auf Entwicklungen der Elektro- und Informationstechnologie"

Die Elektrifizierung wird alles verändern, sagt der CTIO von Marelli, Dr. Joachim Fetzer. Die europäische Autoindustrie ist bei der Elektromobilität sehr gut positioniert. Doch gerade in den USA und China erwächst neue Konkurrenz. Im Interview mit dem VDE Geschäftsbereichsleiter Mobility, Dr. Ralf Petri, spricht Dr. Fetzer u.a. über Marelli als Enabler neuer Zukunftstechnologien, Startups als Herausforderer und über die künftige Entwicklung des autonomen Fahrens.

VDE: Herr Dr. Fetzer, als Chief Technology & Innovation Officer von Marelli leiten Sie Technologie und Innovation bei einem der weltweit führenden unabhängigen Automobilzulieferer. Wir möchten mit Ihnen über die Zukunft der Mobilität sprechen. Lassen Sie uns das Interview mit einer einfachen Frage beginnen: Welches Fahrzeug fahren Sie derzeit? 

Fetzer (schmunzelt): Ich fahre einen Tesla Model 3 Performance.

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Dr. Ralf Petri
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Chinas Erfolg bei Elektrofahrzeugen sticht ins Auge

VDE: Wie schätzen Sie das Antriebsportfolio für 2030 ein? Was werden wir auf dem Markt sehen? Gehen Sie von einer Dominanz der batterieelektrischen Fahrzeuge aus? Wo werden die Fahrzeuge mit Brennstoffzelle stehen und wie verteilt sich das auf die Sektoren allen voran Nutzfahrzeuge und Pkws?

Fetzer: Das ist abhängig von der Region, die betrachtet wird. Im Augenblick ist Europa die Region, die mit der größten Geschwindigkeit hin zur Elektromobilität bzw. Batterie als Antriebstechnologie. Dahinter folgen dann China und die USA. Mit Blick auf die Erwartungen deutscher OEMs (original equipment manufacturers) wie Volkswagen, Mercedes-Benz oder BMW denke ich, dass wir 2030 in Europa bei 60 bis 70 Prozent rein batterieelektrischen Fahrzeugen liegen werden. Rund 30 Prozent werden wohl Plugin-Hybride sein. Es wird also nur noch sehr wenige reine Verbrennerfahrzeuge geben. Die Brennstoffzelle dürfte bei Pkws kein Thema sein. Dies lässt sich allein schon an den Entwicklungsaktivitäten, Veröffentlichungen und Ankündigungen ablesen.

Bei Verteilerfahrzeugen wird es wohl auch auf batterieelektrische Antriebe hinauslaufen. Bei Strecken von bis zu maximal 200 Kilometern und vorgegebenen Routen erscheint dies allein aus Kostengründen und Infrastruktur alternativlos zu sein. Bei Heavy-Duty-Trucks wird es eine Zweiteilung geben: Auf der einen Seite VW mit den Marken Scania und MAN, die auf Elektroantriebe setzen, und auf der anderen Seite Daimler Truck und Volvo, welche Brennstoffzellenfahrzeuge anbieten wollen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob und wie eine vernünftige Wasserstoff-Ladeinfrastruktur aufgebaut werden kann. Das muss sich alles ja auch finanziell rechnen. Und die Entstehungskosten für den Wasserstoff kommen ja noch hinzu. Rechnet man das alles zusammen, ist der Business Case nicht gegeben. Da teile ich mehr die Einschätzung von VW.

Blicken wir in die USA: Dort haben die Big Three aus Detroit (GM, Ford und Chrysler) gemeinsam mit der US-Regierung angekündigt, bis 2030 50 Prozent ihrer Fahrzeuge elektrisch betreiben zu wollen. Dies scheint mir realistisch und auch erreichbar. Die Zahl der Batteriefabriken, die gerade in den USA errichten werden, deutet auf die 50-Prozent-Marke hin. Interessant ist sicherlich die Frage, wie schnell Unternehmen wie Tesla, Rivian und Lucid Motors tatsächlich Marktanteile gewinnen und andere mitziehen können. Viel deutet darauf hin, dass auch auf dem Truck-Markt ein Interesse an Elektro-Trucks vorhanden ist. Aufgrund von diversen Produktankündigungen und aktuell ausgebuchten Bestellungen elektrischer Trucks unterliegt dieser Markt einer entsprechenden Dynamik. Sicher wird es aber in den USA auch Regionen geben, die noch lange am Verbrenner hängen werden.

China beschreitet einen ähnlichen Pfad wie Europa. Die chinesische Regierung wird die Elektromobilität weiter pushen, weil sie einfach den strategischen Vorteil einer reduzierten Abhängigkeit von Öl sieht. Als weltweit größter Öl-Importeur verfolgt man dieses Ziel ja nun schon länger. Mittlerweile ist auch der Anteil chinesischer Fahrzeuge am nationalen Markt beträchtlich und beträgt fast 50 Prozent. Hier sticht besonders der Erfolg bei Elektrofahrzeugen ins Auge. Von einem weiteren starken Wachstum im Bereich der Elektromobilität in China ist auszugehen. Die deutschen Automobilhersteller haben ihren Anteil in China innerhalb von einem Jahr beispielsweise um 200 Prozent gesteigert. 

Auch Japan macht Fortschritte. Nissan hat ein Elektroauto-Programm aufgelegt, dicht gefolgt von Toyota. Mazda, Suzuki, Isuzu und Subaru fahren alle im Schlepptau von Toyota, weil sie die Technologie mitnutzen wollen. Die Geschwindigkeit der Elektrifizierung wird auch hier zunehmen, aber eben langsamer als in Europa. Dies hängt auch mit dem Festhalten wichtiger Marktteilnehmer an der Brennstoffzelle (Fuel Cell) zusammen. Insgesamt ein großer Aufwand bei einem noch sehr kleinen Ertrag. Die Busse, die sie bei den Olympischen Spielen in Tokyo eingesetzt haben, sind zwar gefahren, aber zu einem Preis, der nicht wettbewerbsfähig ist. Auch hat die japanische Regierung eine starke Förderung im Bereich der Solid-State-Batterieforschung aufgelegt. Ich gehe davon aus, dass japanische Automobilhersteller bis 2028/29 Feststoffbatterien wettbewerbsfähig sowie marktfähig bekommen werden. Wie groß der Wettbewerbsvorteil dann sein wird, bleibt abzuwarten.

VDE: Für die Kritiker bzw. Skeptiker der Elektromobilität lässt sich doch dann festhalten, dass die Elektromobilität in ihrer jetzigen Form mit Blick auf die technischen Entwicklungen nahezu alternativlos ist, oder?

Fetzer: Elektromobilität ist einfach attraktiv. Wer mal länger ein Elektroauto gefahren ist, stellt fest, dass die Angst, irgendwo liegenzubleiben, unbegründet ist. Auch ist der Fahrkomfort deutlich besser. Vor vielen Jahren hat Herr Diess, aktuell Vorstandsvorsitzender der Volkswagen Gruppe, schon gesagt: "Wer einmal Elektroauto gefahren ist, der ist für Verbrenner-Modelle verloren." Ich denke, dieses Zitat bewahrheitet sich gerade. Ein zentrales Thema ist nach wie vor die Ladeinfrastruktur. Und hier liegt auch der Erfolg von Tesla begründet. Sie bieten eben genau das mit an.

Bei E-Autos wird der Frontbereich durch Lichttechnik zum Designobjekt

Interview mit dem CTIO von Marelli

Autonome Fahrsysteme machen die Straßen sicherer, sagte Dr. Fetzer im Interview mit Dr. Petri.
 

| Heusser / VDE

VDE: Lassen Sie uns auf die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Marelli eingehen. Was ist denn aktuell in der Pipeline oder wo schauen Sie hinsichtlich der Entwicklung zurzeit ganz genau hin?

Fetzer: Marelli entwickelt, fertigt und verkauft Elektromotoren. Zusätzlich arbeiten wir an der Integration von Elektroautogetrieben, sogenannten E-Achsen und sind auch im Bereich Batteriemanagementsysteme tätig, welche bereits in verschiedenen Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Zudem beschäftigen wir uns mit der Entwicklung weiterer Komponenten, wie z.B. Onboard-Charger oder DC/DC-Wandler. Wir arbeiten auch an neuartigen Antriebskonzepten, welche das Management der Batterie, aber auch die Wandlung DC/AC und AC/DC grundlegend verändern werden. Hierdurch versprechen wir uns erhebliche Vorteile bei der Effizienz sowie beim Packaging – beispielsweise in Kooperation mit der Firma Transphorm, die sich auf die Entwicklung und Fertigung von Galliumnitrid-Leistungsbausteine fokussiert haben.

VDE: Es gibt sehr viele Firmen, die in den Feldern Elektromotor und Inverter unterwegs sind. Bosch haben Sie als einer der Konkurrenten angesprochen. Sagen Sie uns doch, was macht den Marelli-Ansatz so besonders? 

Fetzer: Marelli hat 2008 als erste Firma weltweit mit dem Thema Hairpin begonnen. Und zwar damals für die Formel 1. Hier wurden für die KERS-Systeme hochleistungsfähige Elektromotoren gesucht und Marelli hat diese geliefert. Diese Hairpin-Technologie hat Marelli 2019 erstmals in Serie gebracht – in einem Sportwagen. Insofern besitzen wir die Fähigkeit, Highend-Technologien aus der Formel 1 und damit neue innovative Ansätze aus dem Motorsport auch in den Massenmarkt zu bringen – siehe Hairpin – das zeichnet Marelli aus und ist unsere besondere Stärke.

VDE: Wenn man aktuell als Nutzer der Elektromobilität unterwegs ist, hat man immer ein wenig das Problem mit der Ladeinfrastruktur. Finde ich eine Ladesäule, ist diese mit meinem Fahrzeug kompatibel? Gibt es von Marelli Pläne, dieses Thema aufzugreifen oder konzentriert man sich rein auf die Fahrzeugseite?

Fetzer: Wir konzentrieren uns rein auf die Fahrzeugseite. Natürlich unterstützen wir unsere Kunden und auch Gremien mit Ideen, aber operativ auf Komponentenebene bzw. Produktentwicklung sind wir nicht aktiv. Das ist eine bewusste Entscheidung, weil wir uns auf den OE Markt (Original Equipment) fokussieren möchten.

VDE: Elektromobilität ist sicherlich ein Megatrend, der auch ein Stückweit auf die Dekarbonisierung zurückzuführen ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Thema Vernetzung: autonomes Fahren, Fahrerassistenzsysteme, Shared Mobility etc.; Verfolgt Marelli hier Ansätze, in den Markt einzusteigen bzw. dieses Feld zu bedienen?

Fetzer: Wir arbeiten daran, vollautomatisiertes Fahren (Level 4) bzw. in der Zukunft auch autonomes Fahren (Level 5) mit Sensortechnologie zu unterstützen und kooperieren hier mit chinesischen Herstellern für Radarsensoren. Daran anknüpfend haben wir weitere Kooperationen mit Startups im Bereich Lidar-Technologie, investieren und entwickeln auch serienfähige Lösungen. Dabei schauen wir uns auch die Software für die Sensorauswertung bzw. für die Objektklassifizierung an, die wir herstellen möchten. 

Marelli ist mit Automotive Lighting einer der weltweit führenden Hersteller von Lichttechnik. Wir integrieren die Sensortechnik im Frontbereich der Fahrzeuge. Beim Elektroauto muss an dieser Stelle keine Kühlung mehr erfolgen, weil diese nicht mehr benötigt wird. Bei Automobilherstellern wie Mercedes-Benz wird der Frontbereich gerade zum Styling-Element und wird erweitert um Lichtfunktionen wie Light Base uvm., in die wir dann wieder unsere Sensoren integrieren. 

VDE: Beim Thema autonomes Fahren streiten sich die Experten darüber, ob sich Videosensoren oder doch die Lidar-Technologie durchsetzen wird. Auf welcher Seite steht Marelli?

Fetzer: Da gibt es tatsächlich viele Meinungen. Und Elon Musk (Tesla) hat wohl die extremste Sicht von allen: Demnach reichen für vollautomatisiertes Fahren acht Videokameras aus. Unternehmen wie Waymo oder Cruise sagen dagegen, dass autonomes Fahren verschiedene Sensoren braucht, darunter auch Lidar- (Light detection and ranging), Radar- und Ultraschallsensoren sowie Videokameras. Angeblich werden in den USA Tesla-Modelle für vollautomatisiertes Fahren vorbereitet. Radarsensoren sollen dabei allerdings keine Verwendung finden. Herr Musk muss also schon über Hinweise verfügen, dass das, was er da behauptet, auch funktionieren kann. Andernfalls würde er nicht so handeln.

Bei der Betrachtung sollten immer auch die Anwendungsfälle im Blick behalten werden. Nehmen wir z.B. Level 5: Fahren ohne Lenkrad und ohne Pedale. Das Fahrzeug fährt also autonom. Welche Sensoren es hierfür braucht, kann ich aktuell nicht abschließend beurteilen. Mir erscheint die Kameratechnologie dabei als große Herausforderung: Was mache ich z.B. bei Nebel? Muss ich dann das Auto abstellen? Mehrere Radar- bzw. Lidar-Systeme wären hier sicherlich hilfreich.

Vieles hängt auch von den Fähigkeiten der Erkennungs- bzw. Verarbeitungssoftware ab. Was lässt sich in diesem Kontext in Sachen KI (Künstliche Intelligenz) & Machine Learning implementieren? Und wie viel Unterstützung braucht es über Edge Computing – also 5G/6G aus der Cloud. Waymo und Cruise haben hier eine klare Strategie: Sie brauchen keine Edge-Anbindung. Dafür haben sie aber einen enormen Aufwand an Sensoren und entsprechender Verarbeitungstechnologie, um autonom fahren zu können. Dass dies funktionieren kann, belegen erste Demonstrationsprojekte in San Francisco. Das ist aber sicherlich kein Fahrzeug für die Serienfertigung, weil die Alltagstauglichkeit (noch) nicht gegeben ist. Und abschließend stellt sich in den nächsten Jahren sicherlich auch sich die Frage, wie viel User Experience es beim automatisierten Fahren für den Einzelnen brauchen wird?

Einen Sportwagen mit einem vollautomatisierten Fahrsystem auszurüsten, macht keinen Sinn. Unterstützung bei Alltagsfahrten, indem vor Gefahrensituationen gewarnt wird, das E-Auto automatisiert abbremst oder Lenkeingriffe vorgenommen werden, dagegen schon viel eher. All das erhöht die Sicherheit im Straßenverkehr. Es wird spannend zu beobachten sein, in welchen Anwendungsfällen sich voll automatisiertes und autonomes Fahren durchsetzen werden.

Faktencheck – Autonomes Fahren

Autonomes Fahren mit Sensorsystem Sensorsystem und drahtloses Kommunikationsnetzwerk
metamorworks / stock.adobe.com
21.07.2021 Kurzinformation

Automobilhersteller, Zulieferer und Softwareunternehmen arbeiten an der Vision von autonomen Fahrzeugen und erhoffen sich dadurch mehr Wachstum und neue Geschäftsmodelle. Dabei stehen sie in einem hartumkämpften internationalen Wettbewerb um die Vormachtstellung in diesem Bereich. Bis autonome Fahrzeuge Realität sind und der Mensch nur noch Passagier ist und nicht mehr aktiv eingreifen muss, sind allerdings noch zahlreiche offene Fragestellungen zu klären. Neben technischen Herausforderungen wie der zuverlässigen Datenerfassung von Videokameras und Sensoren, wie Radar- und Lidar, gehören dazu auch rechtliche, ethische und gesellschaftliche Fragestellungen.

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Marelli steht für Performance und Personality

VDE: Was sind die Visionen und Pläne von Marelli für die kommenden Jahre? 

Fetzer: Marelli konzentriert sich auf zwei Schwerpunkte: Performance und Personality. Performance dreht sich insbesondere um Antriebsstränge – sowohl im Bereich Elektro- wie auch im Verbrennungsmotor. Hierunter fallen Einspritz- und Abgassysteme, sowie Systeme zur Federung und Dämpfung der Fahrzeuge. 

Personality sehen wir als großes Wachstumsfeld. Dies umfasst Interior, wie Dashboard-Konsolen, Elektroniksysteme, Anzeige-Elemente und Instrumente – ganz allgemein gesprochen neue Bedienkonzepte für das Fahrzeug. Und natürlich Smart Surface. Also schön gestaltete Oberflächen, die sich nach Berührung in elektronische Bedienelemente verwandeln. Und zuletzt natürlich das Exterieur also Lichttechnik und Beleuchtungselemente.

Bei all diesen Komponenten, die die Persönlichkeit eines Fahrzeugs stark beeinflussen, wollen wir uns einbringen und unterstützen. Hier sehen wir einen großen Wachstumsmarkt. Zukünftig besteht der Unterschied zwischen guten und schlechten Motoren ausschließlich in der Reichweite. Somit wird die Differenzierung über den Antriebsstrang weitgehend aufgehoben. Ergo muss sich der OEM anderweitig differenzieren und positionieren. Aktuelle Fahrzeuge mit neuen Cockpitbereichen und darin verbautem Infotainment-System setzten neue Impulse. Früher war das Cockpit auch wichtig, weil es der erste Kontakt zwischen Fahrer und Auto war. In der Zukunft wird es jedoch noch viel wichtiger werden, weil das ganze Thema Interieur neu gedacht werden muss. Automatisierungsfunktionen, Gestaltungsmöglichkeiten, der Einsatz neuer Technologien wie Augmentend oder Virtual Reality erscheint denkbar. Bereits jetzt differenzieren sich die Automobilhersteller über Licht und Elektronik wie z.B. OLED am Heck des Fahrzeugs. Das spielt eine große Rolle, insbesondere bei der Fahrzeug- als auch Markenwahrnehmung.

VDE: Wir haben festgestellt, es homogenisiert sich vieles, Antriebsstränge machen nicht mehr den Unterschied aus. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die deutschen OEMs gegenüber der internationalen Konkurrenz aufgestellt? 

Fetzer: Objektiv betrachtet war die europäische Automobilindustrie in Bezug auf Elektromobilität lange Zeit sehr zurückhaltend. Hier hat nun ein radikales Umdenken stattgefunden. Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW und Stellantis möchte ich hier nennen, die große Investitionen getätigt haben. Ein Beispiel hierfür ist die ACC (Automotive Cells Company), ein Joint Venture von Total, Mercedes und Stellantis.

Die Elektromobilität wird für die europäische Autoindustrie sicher nicht zur Sackgasse. Gleichzeitig hat sich mit Tesla aber auch ein ernstzunehmender Wettbewerber etabliert. Sie sind technisch und in der Fertigungstechnologie gut aufgestellt. Und Weitere werden folgen. Es wird einen Shift geben, aber nicht so sehr ausgehend von Europa. In den USA und China gibt es einige starke Startups. Xpeng und Nio fallen mir da als Innovationstreiber zuerst ein. Die werden auch einige ihrer chinesischen Wettbewerber in Bedrängnis bringen. Es gibt Stimmen in China, die sagen, 50 Prozent der chinesischen OEMs werden in zehn Jahren nicht mehr existieren. Alles in allem ist es ein guter Wettbewerb und die europäische Autoindustrie ist dabei sehr gut positioniert.

VDE: Marelli hat italienische und japanische Wurzeln und ein bisschen US-Amerika ist auch drin. Wie gehen Sie als CTO mit diesem Mix der Kulturen um?

Fetzer: Das ist eine spannende Frage, wir bewegen uns ja in vielen Länderkulturen und sind international aufgestellt mit aktuell 54.000 Beschäftigten. Unternehmenssitz ist Japan, aber natürlich sind wir auch sehr italienisch geprägt. Zudem sind wir stark in Deutschland, Frankreich und Nordamerika verwurzelt.  Wir sehen diese Vielfalt als Vorteil und entwickeln unsere Firmenkultur entsprechend weiter. Wir investieren in entsprechende Programme –– worauf unsere Mitarbeiter länderübergreifend gemeinsam hinarbeiten. Diesen Prozess hat die Pandemie in einigen Bereichen beschleunigt, in anderen leider aber auch etwas verlangsamt. Videotelefonie ermöglicht einen funktionsübergreifenden Austausch, weg vom Silodenken und hin zu einem gemeinsamen Umfeld. Das ist ein Prozess und der braucht natürlich auch Zeit. Wir haben eine gemeinsame Sprache und die ist Englisch. Da sind unsere britischen und amerikanischen Kolleginnen und Kollegen natürlich im Vorteil, aber das sind so Herausforderungen, die ein internationales Unternehmen eben mit sich bringt. In Summe bewegt sich Marelli auf eine Firmenkultur – eine Marelli-Kultur zu, ohne dass länderspezifische Kulturen überhöht oder gar beseitigt werden.

Wir werden einen enormen Anstieg an elektrischer Energie sehen

Interview mit dem CTIO von Marelli

Im Gespräch mit dem Geschäftsbereichsleiter von VDE Mobility, Dr. Ralf Petri, prophezeit Dr. Fetzer der Elektrotechnik einen großen Boom.

| Heusser / VDE

VDE: Marelli hat das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu sein. Welche Aktivitäten unternehmen Sie, um das zu erreichen?

Fetzer: Im ersten Schritt haben wir in unseren Werken ein Projekt gestartet, um den Energieverbrauch mit den bestehenden Möglichkeiten schnell zu reduzieren. Wir achten darauf, dass wir Strom aus erneuerbaren Energien einkaufen und reduzieren global unseren Energieverbrauch. Dies sind einige unserer Initiativen, um bis 2030 CO₂-neutral zu werden im Sinne von Scope 1- und 2-Emissionen. Außerdem arbeiten wir gemeinsam mit unseren OEM-Kunden daran, die Lieferketten zu optimieren, die Nachhaltigkeit zu stärken und so den CO₂-Fußabdruck zu verkleinern. Damit das Thema organisatorisch getrieben wird, haben wir einen Firmenbeauftragten, der sich ausschließlich um das Thema Nachhaltigkeit kümmert – auf Produktebene und für unsere gesamte Firma. Wir arbeiten bei der Entwicklung von Innovationen eng mit dieser Person zusammen, damit bereits bei der Auswahl von Materialien unserer Lieferanten das Thema Nachhaltigkeit mitbedacht wird.

VDE: Gibt es noch ein Leuchtturmprojekt bei Marelli, von dem wir wissen sollten? 

Fetzer: Ja, wir haben Ende 2020 ein Projekt mit BMW gestartet und dabei gemeinsam ein Konzept entwickelt, wie sich über die Blockchain die Lieferantenkette kontrollieren lässt. Wir stellen die Lösung BMW auch zur Verfügung, sodass klar ist, welche Materialien bei den Lieferanten eingesetzt werden und wie groß der hieraus resultierende CO2-Footprint ist. So lässt sich belegen, welchen Beitrag wir zum BWM-Programm, CO2 neutrale Fahrzeuge bis zum Jahr 2030 zu bauen, leisten können. Wir haben diese Blockchain-Technologie hier im Haus entwickelt und diskutieren gerade mit unseren OEM-Kunden, wo ein weiterer Rollout sinnvoll erscheint.

VDE: Kommen wir zurück zu Ihrer Person. Sie haben einen spannenden Karriereweg hinter sich: Angefangen bei Bosch, dann zu Vector gewechselt und wieder zurück zu Bosch gegangen. Und dabei haben Sie immer Positionen im Top-Management bekleidet. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Fetzer: Ich hatte stets das Glück, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein, um die Dinge voranbringen zu können. Dabei half es mir auch, dass ich mich stets in ganz neuen Welten zurechtfinden musste: Bei Bosch war es der elektrische Antriebsstrang, bei Vector Software. Diese immer neuen Herausforderungen in einem immer neuen kulturellen Umfeld haben mir sicherlich geholfen.

VDE: Sie haben Elektrotechnik und Elektronik studiert, was uns als VDE selbstverständlich sehr freut. Was würden Sie denn den aktuell Studierenden der Elektrotechnik raten?

Fetzer: Die Elektrotechnik steht vor einem großen Boom. Das ist auch keine reine deutsche Sicht. Die Elektrifizierung wird im Rahmen der Energiewende ihren Durchbruch haben. Am Anfang war die Energiewende ökologisch getrieben. Mittlerweile wissen wir, dass elektrische Energie als Primärenergie mehr als wettbewerbsfähig ist. Und wir werden ganz sicher einen enormen Anstieg von elektrischer Energie sehen – sei es Photovoltaik oder Windenergie. Wir werden aber auch Geothermie sehen. All diese Techniken werden weltweit ausgerollt, dazu brauchen wir dann aber auch ein enormes Wissen, um die Energie in hohe Spannungen transformieren zu können. Wir müssen dahinkommen, die elektrische Energie speichern zu können – entweder direkt als elektrische Energie in Form einer Batterie oder in chemischer Form z.B. als Wasserstoff in einer Batterie. Wir müssen unsere Netze digitalisieren, um jederzeit und überall ausreichend Leistung zur Verfügung zu stellen. Ich denke, dass die elektrische Energie in 50 Jahren die einzig wesentliche Energieform ist.

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