Der von der Deutschen Bundespost in den 1970er Jahren errichtete und auch »Europaturm« genannte Fernmeldeturm in Frankfurt am Main war bei seiner Fertigstellung nicht nur das höchste Bauwerk dieser Art in Europa, auch fernmeldetechnisch hatte er eine wichtige Bedeutung als zentraler Punkt für den Richtfunkbetrieb sowie als Knoten für Empfang und Verteilung der Tonsignale der ARD-Rundfunkanstalten. Heute zeugt er vom Bedeutungsverlust der Richtfunkübertragung zugunsten von Satelliten- und Glasfaserkabel-Verbindungen.
Beschreibung
erbaut: 1974-79
Architekten: Johannes Mörle, unter Mitarbeit von Peter Metzger, Erwin Heinle
Bauherr: Deutsche Bundespost
Der heute (2014) 337 m hohe Frankfurter Fernmeldeturm war bei seiner Fertigstellung das höchste Bauwerk Europas und gehört heute weiterhin in diese Spitzengruppe. Sein 295 m hoher Schaft aus Stahlbeton wurde in einer Kletter-Gleitschalung hochgezogen, bei der der hochwertige Beton in eine stetig nach oben wandernde Ringform gegossen wurde. Der Schaft ist auf einem 18,50 m tief im Boden versenkten Ringfundament gegründet. Am Fuß beträgt der Schaftdurchmesser 20 m, nach oben hin verjüngt er sich auf 11 m.
In 227 m ist die aus Beton, Stahl und Aluminium konstruierte, rund 1.000 t wiegende Turmkanzel aufgesetzt. Mit 59 m Durchmesser und 26 m Höhe hält sie ebenfalls einen Rekord: als weltweit größte Turmkanzel. Bis 1999 beherbergte die in sechs Stockwerke unterteilte Kanzel ein Restaurant und eine Diskothek. Damals wurde der Europaturm für die Öffentlichkeit geschlossen, da die Erfüllung der Brandschutzauflagen einen Millionenaufwand erfordert hätte.
Der Europaturm wurde als Ersatz für das in der Frankfurter Innenstadt gelegene Fernmeldehochhaus, dem seinerzeit zweithöchsten Gebäude nach dem Dom, konzipiert. Bis zum Beginn der 1970er Jahre hatte es auch als Antennenträger für die im Fernmeldenetz zunehmend wichtiger gewordenen Richtfunkstrecken gedient. Der Betrieb der auf freie Sicht zwischen Sende- und Empfangsstelle angewiesenen Richtfunkstrecken gestaltete sich immer schwieriger, als in der Innenstadt mehrere große Hochhäuser in unmittelbarer Umgebung des Fernmeldehochhauses entstanden. Die Lösung fand die damals für das Fernmeldewesen verantwortliche Deutsche Bundespost im Bau des die Hochhäuser überragenden Fernmeldeturms. Der Bauplatz wurde außerhalb der Innenstadt auf unverbautem Gelände in Richtung Taunus gewählt.
Über der Kanzel erheben sich sieben Betonplattformen, die ursprünglich der Aufstellung der Richtfunkantennen der Deutschen Bundespost dienten. Bis zu 140 Parabolantennen fanden in den 1990er Jahren auf den Plattformen Platz. Um das optische Erscheinungsbild des flachen Doppel-Kegelstumpfs der Kanzel nicht zu stören, wurden die damals im Durchmesser relativ großen Richtfunk-Muschelantennen auf Wunsch der Architekten an einem unter dem Flachdach der Kanzel zurückspringenden Ring kopfüber unter der Decke aufgehängt. Die zu den Antenneneinrichtungen gehörigen Technikräume befanden sich in den beiden oberen Stockwerken der Kanzel. Von hier aus wurde alle unbemannten Rundfunksendeeinrichtungen in Hessen und in Mannheim überwacht, die korrekte Funktion der Richtfunkstrecken kontrolliert und die Fernseh-Tonsignale der ARD-Anstalten miteinander verbunden. Letztere Funktion wurde auch als »Tonstern« bezeichnet, der den zentralen Knoten im Netz des damaligen öffentlich rechtlichen Hörfunks bildete. Für die Rundfunkanstalten wurden hier die Programmübernahmen und Verteilungen auf die einzelnen Sender von Hand geschaltet.
Inzwischen hat der Richtfunk seine früher bedeutende Position an die Satellitentechnik abgetreten. Zudem ersetzen Glasfaserkabelverbindungen viele der Übertragungsstrecken, die früher mit Richtfunk bewerkstelligt wurden. Daher sind die Antennenplattformen heute weitgehend leer. Fernmeldetechnisch dient der Turm heute zur Übertragung von Mobilfunk über große Strecken, auch für die Sicherheitsbehörden. Die noch vorhandenen Richtfunkanlagen stehen als Reserve für den Fall zur Verfügung, dass Glasfaserverbindungen ausfallen sollten. Schließlich werden vom Europaturm aus verschiedene Hörfunkprogramme verbreitet.
Die Antenne an der Spitze des Turms wurde im September 2004 ausgewechselt. Grund war der bevorstehende Start des digitalen terrestrischen Fernsehens (DVB-T). Zur Montage der neuen, insgesamt sechs Tonnen schweren Antenne wurde ein russischer Doppelrotorhubschrauber der Schweizer Firma Heliswiss eingesetzt. Mit der neuen Antenne ist die Gesamthöhe des Europaturms um 6,50 m auf nun 337,50 m gewachsen. Seit der Antennenmodernisierung können auch bis zu 24 Fernsehprogramme ausgestrahlt werden. Außerdem dient der mittlerweile von der Deuschen Telekom AG betriebene Turm als Empfangsstation für Satellitensignale, die terrestrisch oder via Kabelnetz über Frankfurt und Südhessen verteilt werden.
Mit der Schließung des Besucherbetriebs und dem Bedeutungsverlust der Richtfunktechnik hat der Frankfurter Fernmeldeturm seine ursprüngliche Zweckbestimmung fast vollständig eingebüßt und das ehemals Aufsehen erregende Bauwerk ist zum »unbemannten Antennenträger« geworden.
Informationsstand: 31.12.2014
Schlagworte: Sendeanlagen; Informations- und Kommunikationstechnik (IKT); Nachrichten- und Kommunikationstechnik; Fernseh- / Fernmeldetürme
Stichworte: Johannes Mörle; Peter Metzger; Erwin Heinle; Deutsche Bundespost; Stahlbeton; Kletter-Gleitschalung; Stahlbetonbauweise; Ringfundament; Turmkanzel; Richtfunkstrecke; Fernmeldeturm; Richtfunkantenne; Parabolantenne; Rundfunksendeeinrichtung; ARD-Anstalt; ARD; Tonstern; Hörfunk; Rundfunkanstalt; Richtfunkanlage; Glasfaserverbindung; Europaturm; Hörfunkprogramm; Antenne; digitales terrestrischer Fernsehen; DVB-T; Doppelrotorhubschrauber; Antennenmodernisierung; Fernsehprogramm; Satellitensignal; Frankfurt; Südhessen; Richtfunktechnik; unbemannter Antennenträger; Deutsche Telekom AG
Quelle(n)
- Willi Paul, Technische Sehenswürdigkeiten in Deutschland. Band III. Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden-Württemberg, München 1978
- Werner Breunig, Frankfurter Fernsehturm. Leerstand auf höchstem Niveau; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. November 2010
- Stadt Frankfurt am Main (Hg.), Route der Industriekultur Rhein-Main. Frankfurt am Main - Mitte. 31 Objekte der Industriegeschichte in Frankfurt am Main / Mitte, (Lokaler Routenführer, Nr. 16), Frankfurt am Main 2006