Das Donaukraftwerk Jochenstein überschneidet, wie viele andere Wasserkraftwerke, auch an der deutsch-schweizerischen Grenze, die in der Flussmitte verlaufende Staatsgrenze, hier zwischen Deutschland und Österreich. Über einen Gang entlang des Maschinenhauses und der Wehranlage sowie über zwei Brücken zur Überquerung der Schleusenanlagen kann der Grenzübergang passiert werden.
Beschreibung
erbaut: 1952-56
Bauherr: Donaukraftwerk Jochenstein AG
Architekt: Roderich Fick
Betreiber: Grenzkraftwerke GmbH
Die erste Erwähnung einer Donaustufe bei Jochenstein findet sich in den Entwürfen für die Groß-Schifffahrtsstraße Rhein-Main-Donau des Bayerischen Kanalbauamtes von 1918. Das bei Passau in den Jahren 1922-27 von der Rhein-Main-Donau-AG (RMD) errichtete Wasserkraftwerk Kachlet war für den Schiffsverkehr jedoch vorrangiger, da die gefährlichen Untiefen in diesem Bereich durch den Aufstau entschärft werden konnten. Ein weiterer Aufschub für das Projekt Jochenstein hing mit dem Bau des Kraftwerks Ybbs-Persenbeug zusammen, das ab 1938 von der RMD errichtet wurde und für den Ausbau der Donau aus damaliger Sicht bedeutender war.
Erst der große Energiemangel im süddeutschen Raum nach der Abtrennung von den mitteldeutschen Stromlieferanten brachte neue Bewegung in das Kraftwerksprojekt Jochenstein. Der erste Vorentwurf wurde 1948 von der RMD erstellt, ein Jahr später erfolgte die Gründung eines Projektierungskonsortiums durch die Österreichische Elektrizitätswirtschafts-AG, die österreichische Verbundgesellschaft, und die deutsche RMD. Dieses Konsortium übernahm die Planungen und übergab den fertigen Feststellungsentwurf an die Mitte Februar 1952 neu gegründete Donaukraftwerk Jochenstein AG. Der architektonische Entwurf des Kraftwerkbaus stammt von Roderich Fick (1886-1955), Architekturprofessor an der TH München, dessen Werk von traditionellen und regionalen Bauformen bestimmt wurde und der seinen Bauten einen regionaltypisch-konservativen Baustil aufprägte.
Mit dem Beginn der Vorarbeiten für den im September 1952 zeigten sich auch Probleme, die bei anderen Donaukraftwerken nicht existierten. Infolge der die österreichisch-deutsche Grenze schneidenden Position der gesamten Kraftwerksanlage musste das Baustellengelände als Zollenklave so abgesichert werden, dass es keine Probleme mit der damals noch nicht vollständigen Souveränität der beiden Staaten gab. Für Österreich wurde diese erst durch den Staatsvertrag von 1955 hergestellt, für die Bundesrepublik galt seit September 1949 noch das Besatzungsstatut und die alliierten Vorbehaltsrechte waren weiterhin in Kraft. Etwas erleichtert wurde die Situation durch den Umstand, dass Jochenstein in Österreich westlich der ehemaligen russisch-amerikanischen Zonengrenze lag und somit die österreichische amerikanische Zone am Südufer der Donau an die frühere bayerische amerikanische Zone am Nordufer grenzte.
Bau des Kraftwerks und Inbetriebnahme
Bis zum April 1953 wurden die beiden uferseitigen Fangdämme errichtet und die dadurch abgetrennten Baugruben ausgepumpt. Die Baustelleneinrichtungen wurden fertig gestellt und die Aushubarbeiten für die Fundamente begannen. Im Oktober 1953 waren die beiden rechtsufrigen Wehrfelder soweit fertig gestellt, dass die Baugrube in diesem Bereich geflutet werden konnte. Die Südschleuse, die während der weiteren Bauarbeiten für den Schiffsverkehr zur Verfügung stehen musste, konnte im April 1954 ihre Funktion übernehmen. Das Katastrophenhochwasser von Juli 1954 bedeutete einen herben Rückschlag für das Bauvorhaben. Die beweglichen Teile konnten zwar vorsorglich noch geborgen werden, die Baugrube in der Mitte der Donau wurde jedoch vollständig überflutet. Der damalige Durchfluss von 9.600 m³/s lag deutlich über der bei den Planungen angenommenen Menge des Jahrhunderthochwassers vom Februar 1862 mit 8.400 m³/s. Trotzdem konnte bereits einen Monat später mit der Hauptmontage der Turbine 1 begonnen werden.
Das Maschinenhaus wurde maschinenblockweise von Norden nach Süden errichtet. Im Januar 1955 waren die ersten drei Maschinensätze eingehaust, nach dem Leerpumpen der nächsten Baugrube konnte mit dem Bau des restlichen Gebäudes zusammen mit den beiden anschließenden Wehrfeldern begonnen werden. Nachdem die Baugruben im März geflutet worden war und der Teilstau Mitte April 1955 keine Probleme gezeigt hatte, konnten im Mai die ersten drei Maschinensätze ihren regulären Betrieb aufnehmen.
Bis Herbst 1955 erfolgten die Fertigstellungsarbeiten am südlichen Krafthaus und den anschließenden Wehrfeldern, im Dezember der erste Vollstau. So konnte im Mai 1956 der vierte Maschinensatz in Betrieb gehen. Mit Anlauf des fünften Maschinensatzes im August 1956 ging das Kraftwerk vollständig in Betrieb und die Bauarbeiten konnten abgeschlossen werden.
Technische Daten des Kraftwerks
- Turbinen und Generatoren: Die fünf Kaplan-Turbinen mit vertikaler Welle haben mit den zugehörigen Drehstrom-Synchrongeneratoren in Schirmbauweise eine Gesamtleistung von 132.000 kW. Die maximale Schluckfähigkeit aller Turbinen beträgt 2.050 m³/s, die eventuell darüber hinausgehende Wassermenge der Donau muss über die Wehranlage abgeführt werden. Die Turbinen 1 und 2 wurden von Escher, Wyss & Cie. in Kooperation mit der Maschinenfabrik Andritz AG gebaut, die Turbinen 3 bis 5 stammen von J. M. Voith in Heidenheim und wurden zusammen mit der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke AG (VÖEST) in Linz hergestellt. Die Siemens-Schuckertwerke AG (SSW) lieferte die Generatoren 1 und 5, die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) die Generatoren 2 und 4 sowie die Wiener Elin AG den Generator 3.
- Wehranlage: Die Wehrverschlüsse wurden als genietete Hakendoppelschützen mit elektromechanischen Windwerken und Gallschen Ketten ausgeführt und von der Union, AG für Bergbau, Eisen- und Stahl-Industrie (auch als »Dortmunder Union« bezeichnet) und der VÖEST produziert.
- Schleusenanlage: Für die Unterhauptverschlüsse der Schleusenanlage wurden Riegelstemmtore, für den südlichen Oberhauptverschluss Hubsenktore mit Hakendoppelschützen verwendet. Beim nördlichen Oberhauptverschluss wurde ein Senktor bei hochgezogenem Drempel eingebaut, daher kann diese Kammer als einzige Donauschleusenkammer nicht zur Hochwasserabfuhr herangezogen werden. Die Füllung und Entleerung der Kammern erfolgt direkt über die Verschlüsse. Beim Oberhaupt wird die Untertafel des Verschlusses angehoben, dadurch kann Wasser über einen darunter befindlichen Energievernichter in die Kammer strömen. Beim Unterhaupt befinden sich Öffnungen in den Stemmtoren.
- Hubwerke: Die Maschinenhalle und der Montageplatz werden von einem Hallenkran der Würzburger Georg Noell & Co. aus dem Jahre 1953 bestrichen. Er besitzt eine maximale Hubkraft von 75 t und verfügt auf einer Seite über zwei Laufräder mit verschiedenen Durchmessern, um sowohl den geraden als auch den gekrümmten Bereich der Schienen befahren zu können. Die Oberwasserseite des Krafthauses wird von einem einhüftigen Kran bestrichen. Da sich im Bereich der Wehranlage keinerlei fix montierte Hubwerke befinden, müssen die Schützen bei Revisionsarbeiten mit Hilfe von Schwimmkränen manipuliert werden.
- Rechenreinigungsanlage: Zwei baugleiche Putzwagen mit Putzharken transportieren das Schwemmgut von den Turbinen-Einlaufrechen in unter den Wägen mitgeführte Container. Beide Geräte sind Erzeugnisse von J. M. Voith.
Das Kraftwerk heute
Das Kraftwerk hat ein jährliches Regelarbeitsvermögen von rund 850 Mio. kWh. 2013 verkaufte die Rhein-Main-Donau AG ihren 50%-igen Anteil an der Donaukraftwerk Jochenstein AG an die österreichische Verbund AG, so dass diese jetzt alleiniger Eigentümer des Kraftwerks ist. Bereits seit 1999 liegt die Betriebsführung des Kraftwerks in den Händen der Grenzkraftwerke GmbH.
Die Kraftwerksanlage mit Maschinenhaus und Wehr ist gleichzeitig Grenzübergang zwischen Oberösterreich und Bayern. Die Überquerung ist zwischen 6 Uhr früh und 22 Uhr abends für Fußgänger und Fahrräder gestattet.
Im Juli 2000 wurde neben dem Kraftwerk das Informationszentrum »Haus am Strom« eröffnet. Dieses österreichisch-bayrische Gemeinschaftsprojekt besteht aus zwei Neubauten - einem „Fisch″ und einem „Flusskiesel″ - und integriert auch das ehemalige Zollgebäude. Im Inneren sind ein Ausstellungsraum, ein Vortragssaal und eine Restauration untergebracht.
Das Kraftwerk kann auch besichtigt werden, Führungen werden über das »Haus am Strom« vermittelt.
Informationsstand: 11.02.2018
Schlagworte: Elektrizitätserzeugung; Laufwasserkraftwerke; VDE Südbayern
Stichwörter: J. M. Voith; Donaukraftwerk Jochenstein AG; Roderich Fick; Grenzkraftwerke GmbH; Jochenstein; Groß-Schifffahrtsstraße Rhein-Main-Donau; Bayerisches Kanalbauamt; Rhein-Main-Donau AG; RMD; Energiemangel; Österreichische Elektrizitätswirtschafts-AG; Katastrophenhochwasser 1954; Maschinenhaus; Kaplan-Turbine; Drehstrom-Synchrongenerator; Escher, Wyss & Cie.; Maschinenfabrik Andritz AG; Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke AG; VÖEST; Siemens-Schuckertwerke AG; SSW; Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft; AEG; Elin AG; Wehrverschluss; Union, AG für Bergbau, Eisen- und Stahl-Industrie; Riegelstemmtor; Hubsenktor; Hakendoppelschütz; Hallenkran; Georg Noell & Co.; Rechenreinigungsanlage; Verbund AG; Grenzübergang; Informationszentrum; Haus am Strom; Donaukraftwerk
Quelle(n)
- Bernhard Thiem (VDE Südbayern)
- Anke Borgmeyer, Das Donaukraftwerk Jochenstein - Ein technisches Spitzenprodukt der Nachkriegszeit neu in der Denkmalliste; in: Denkmalpflege Informationen, Nr. 151, März 2012, S. 29-30