Das von der Stadt Reutlingen beziehungsweise der stadteigenen Kraftwerk Reutlingen-Kirchentellinsfurt AG errichtete Pumpspeicherkraftwerk Kirchentellinsfurt dokumentiert die Nutzung regionaler Wasserkräfte durch eine geeignete Kraftwerkskonstellation, hier einer Kombination von Laufwasser- und Pumpspeicherkraftwerk, die am Ende der 1920er Jahre eine weitgehend von Fremdstrombezug unabhängige Eigenversorgung der Industriestadt Reutlingen ermöglichte.
Beschreibung
erbaut: 1924-26
Bauherr: Kraftwerk Reutlingen-Kirchentellinsfurt AG
Planung / Entwurf: Ziviling. Johann Hallinger, Oberbaurat Keller
Bauausführung: Arbeitsgemeinschaft Züblin & Co. (Stuttgart) und Thormann & Stiefel (Augsburg)
Für die zu Beginn der 1920er Jahre in Angriff genommenen Planungen des neuen Neckar-Wasserkraftwerk in Kirchentellinsfurt, das vor allem die industriereiche Stadt Reutlingen mit eigenerzeugtem Strom versorgen sollte, war das starke Schwanken des Nutzwassers eine wesentliche zu berücksichtigende Gegebenheit. Daher entschied sich die Stadt Reutlingen, nach dem Vorbild des Kraftwerks Fridingen die Pumpspeicher-Technologie aufzugreifen. Die beiden Projekteure, der Münchener Zivilingenieur Johannes Hallinger und der Reutlinger Oberbaurat Keller, ließen auf dem 500 m entfernten Kellerskopf einen 127 m über dem Wasserspiegel des Neckars gelegenen Wochenspeicher von maximal 310 000 cbm Inhalt anlegen. In ihn konnte auch Wasser, das sonst ungenutzt zur Energieerzeugung den Neckar hinabgeflossen wäre, für die Deckung von Lastspitzen gepumpt werden. Um für die Flussanrainer unterhalb des Kraftwerks einen konstanten Pegel des Neckars, unabhängig von den Strombedarfsspitzen, sicherzustellen, wurde neben dem Maschinenhaus noch ein unteres Speicherbecken für den Tagesausgleich angelegt.
Das von der Kraftwerk Reutlingen-Kirchentellinsfurt AG, heute ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Reutlingen GmbH, errichtete Kraftwerk wurde für die Stromerzeugung mit vier Francis-Doppelzwillingsturbinen von jeweils 950 PS Leistung von Escher, Wyss & Cie. ausgerüstet, von denen jeweils zwei mit einem Drehstromgenerator mit einer Nennleistung von 600 kW der Maschinenfabrik Esslingen direkt gekoppelt sind. Das Wasser für diese Turbinen wird an einer 26 m breiten Wehranlage vom Neckar abgezweigt und über einen 2 km langen Kanal (Foto 2) dem Kraftwerksgebäude zugeführt (Foto 3, Einlaufseite).
Für den Pumpbetrieb wurde ein Hochdruck-Maschinensatz installiert, bestehend aus einer 1.500-PS-Speicherpumpe, einer Francis-Spiralturbine von 2.000 PS und einem zugehörigen 1.300-kW-Drehstrom-Synchron-Motorgenerator der Bergmann Elektricitäts-Werke AG. Außerdem wurde für den Pumpbetrieb eine weitere Hochdruckpumpe für eine Leistungsaufnahme von 800 PS installiert, die über ein Präzisionsstirnradgetriebe von einer der beiden Francis-Turbinen direkt angetrieben wurde. Diese Pumpe nahm bis zu 800 PS der vom Generator nicht in Anspruch genommenen Turbinenleistung auf und arbeitete im Dauerbetrieb. Durch diesen direkten Antrieb konnte ein bedeutend höherer Wirkungsgrad erzielt werden, der den Wirkungsgrad der hydraulischen Speicheranlage insgesamt verbesserte. Die Gesamtleistung von Laufwasser- und Pumpspeicher-Kraftwerk zusammen liegt bei 2.500 kW. Ausgelegt wurde das Kraftwerk für eine Jahreserzeugung von rund 6 Mio. kWh, die heutige Jahreserzeugung beträgt etwa 3,8 Mio. kWh.
Bis auf die modernisierten Regelungen ist die maschinelle Ausstattung des Laufwasserkraftwerks im Original erhalten. Das Maschinenhaus wurde als Putzbau mit Walmdach in schlichter, funktioneller Bauweise errichtet (Fotos 4 bis 6, Auslaufseite). In unmittelbarer Nachbarschaft des Kraftwerksgebäudes wurde ein Doppelwohnhaus für das Betriebspersonal erbaut (Foto 7).
Informationsstand: 02.11.2016
Schlagworte: Elektrizitätserzeugung; Laufwasserkraftwerke; Pumpspeicherkraftwerke; Stromerzeugung; Energie; Energy
Stichworte: Kraftwerk Reutlingen-Kirchentellinsfurt AG; Zivilingenieur Johannes Hallinger; Oberbaurat Keller; Neckar-Wasserkraftwerk; Kirchentellinsfurt; Reutlingen; Pumpspeicher-Technologie; Kellerskopf; Wochenspeicher; Lastspitze; Tagesausgleich; Stadtwerke Reutlingen GmbH; Francis-Doppelzwillingsturbine; Drehstromgenerator; Hochdruck-Maschinensatz; 1.500-PS-Speicherpumpe; Francis-Spiralturbine; Drehstrom-Synchron-Motorgenerator; Wehranlage; Zuführungskanal; Putzbau; Walmdach; Züblin & Co; Thormann & Stiefel; Escher, Wyss & Cie.; Maschinenfabrik Esslingen; Bergmann Elektricitäts-Werke AG
Quelle(n)
- Volker Rödel, Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland. Bd. 1. Alte Länder, Stuttgart 1992
- Karl Erich Haeberle, Stuttgart und die Elektrizität. Geschichte der Stuttgarter Elektrizitäts-und Fernwärmeversorgung, Stuttgart 1983
- Johann Hallinger, Die Speichereinrichtung am Neckarkraftwerk Reutlingen/Kirchentellinsfurt; in: Wasserkraft und Wasserwirtschaft 22(1927), Heft 17, S. 234-237
- A. Maas, Hydraulische Hochspeicherkraftwerke; in: Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure 68(1924), Heft 45, S. 1161-1167; Heft 46, S. 1195-1199
- Hinweistafel am Objekt