Im Deutschen Museum in München gibt es dazu einen Versuch: In einem abgedunkelten Raum schwebt eine Metallkugel wie eine große Lampe einige Meter über dem Boden. Darin sitzt ein Mann. Er wirkt ruhig und gelassen, obwohl es gleich direkt um ihn herum blitzen wird. Aber der Mann weiß: In der Kugel ist er absolut sicher und kann nicht vom Blitz getroffen werden. Denn das Metall leitet den Blitz auf der Außenseite der Kugel herum, weg von ihm. Jeden Tag steigt der Mann in seinen "Hochsitz", jeden Tag erlebt er, wie künstlich hergestellte Blitze in die Metallkugel einschlagen, ohne dass ihm dabei etwas passiert. Für den Mann in der Kugel ist das ein Teil seines Berufsalltags - alles ganz normal. Die Museumsbesucher, die unter der Kugel auf die Blitze warten, verfolgen die Vorführung mit großer Spannung. Und da zischt und knistert es auch schon als würde jemand mit mehreren Peitschen gleichzeitig durch die Luft schwingen. Grelles Licht zuckt um die Kugel herum. Nach einigen Sekunden ist die Schau vorbei.
Mit diesem Versuch wollen die Museumsmitarbeiter den Besuchern veranschaulichen, dass Blitze für uns immer dann ungefährlich sind, wenn wir uns in einem geschlossenen Raum aus Metall aufhalten. Herausgefunden hat das schon im 19. Jahrhundert der berühmte englische Physiker und Chemiker Michael Faraday. Nach ihm wird deshalb die Metallkugel "Faradayscher Käfig" genannt.
In einem Faradayschen Käfig, einem Raum, der von Metall umschlossen wird, kann keine elektrische Ladung eindringen: Das Metall leitet den Strom an der Außenseite der Kugel entlang. Übrigens funktioniert das auch, wenn der Raum keine Kugel ist sondern ein ganz normaler eckiger Raum z.B. ein Auto. Außerdem muss dieser Raum nicht komplett aus Metall sein, sondern kann auch kleinere Öffnungen aufweisen, wie z.B. die Fensterscheiben bei einem Auto.
Der Strom kann auf dem Faradayschen Käfig entlang fließen, weil ihn die sogenannten Leiter weitertransportieren. Leiter sind Metalle wie Aluminium, Eisen und Kupfer, die kennt ihr aus eurem Alltag: Die Alufolie, in die ihr euer Pausenbrot wickelt, ist zum Beispiel aus Aluminium, unsere Stromkabel sind innen aus Kupfer gebaut und manche Tore sind aus schwerem Eisen. Autos, Flugzeuge und Eisenbahnen bestehen außen ebenfalls größtenteils aus Metall, sie haben also eine Art Schutzhülle um sich herum: Autos und Eisenbahnen sind zum Beispiel hauptsächlich aus Stahl und Blech und Flugzeuge meistens aus Aluminium (das ist leichter als Stahl). Deshalb funktionieren sie genauso wie ein "Faradayscher Käfig".
Die enorme elektrische Ladung, die bei einem Blitz freigesetzt wird, wird an der Außenseite dieser Fahrzeuge entlang geführt. Das Metall hält also den Strom davon ab, in den Innenraum zu fließen. Aber natürlich nur, wenn die Fahr- und Flugzeuge geschlossen und aus Metall sind. Cabrios haben also nicht diesen Schutz, weil das Dach bei einem Cabrio nicht aus Metall, sondern aus Kunststoff besteht. Bei einem Blitzeinschlag muss man dann Glück haben, dass der Blitz das Metall trifft und nicht die Insassen des Autos.
Um das besser verstehen zu können, solltet ihr wissen, was ein Blitz überhaupt ist, und warum er auf der Erde einschlägt: Alle Blitze, egal ob sie zwischen zwei Wolken oder zwischen Wolken und der Erde rasen, bilden sich in Gewitterzellen. Diese sitzen in den Wolken. Jede einzelne Zelle ist riesengroß, einige Kilometer breit und erzeugt zwei bis vier Blitze pro Minute. Sie bilden sich, weil durch den Wind in einer Gewitterwolke die Wassertröpfchen, Schnee- und Eiskristalle oder Staubteilchen sich aneinander reiben. Diese Teilchen laden sich dabei elektrisch auf. Ihr kennt bereits einen ähnlichen Effekt: Wer seine langen Haare mit einem Kunststoffkamm kämmt, kann manchmal erleben, dass die Haare vom Kopf abstehen und vom Kamm angezogen werden. Der Kamm hat durch die Bewegung im Haar elektrische Ladungen erzeugt, die sich dann zwischen Kopf und Kamm aufteilen. Genauso werden in einer Gewitterwolke die positiven und negativen Ladungen voneinander getrennt. Das macht der starke Aufwind im Inneren der Gewitterwolke: Die leichteren geladenen Teilchen steigen nach oben und die anderen sammeln sich unten in der Wolke. Die Wolke wird manchmal mehr als 10 km hoch und sieht dann aus wie dunkle Zuckerwatte.
Unten auf der Erde, in Bodennähe, schwirren auch Teilchen herum mit einer elektrischen Ladung. Sie werden durch die Ladungen im unteren Teil der Wolke angezogen. Wenn sich jetzt in der Wolke durch den Wind besonders viele Ladungen in einem Bereich befinden, startet ein Leitblitz in Richtung der anderen Ladung, die auf dem Boden oder in einer Wolke sein kann. Treffen diese zwei Ladungen zusammen, fließt ein ganz hoher Strom, es leuchtet hell auf - das ist dann der Blitz. Er ist also nichts anderes als ein plötzlicher Ausgleich dieser unterschiedlichen elektrischen Ladungen, sozusagen ein Kurzschluss. Dabei wird in Bruchteilen einer Sekunde elektrische Energie freigesetzt; der Blitzstrom erhitzt die Luft auf über 30.000 Grad Celsius, also ungefähr 300 Mal heißer als kochendes Wasser. Sie dehnt sich dadurch schlagartig aus - das ist der Donner, den ihr hört.
Wenn sich der Leitblitz seinen Weg vom Himmel Richtung Erde bahnt, dann kann er einschlagen, wo immer er will. Erst in den letzten 10 bis 100 Metern entscheidet sich auf Grund der elektrischen Ladungen in Bodennähe, wo er einschlägt. Oft sind das erhöhte oder herausragende Stellen wie Kirchturmspitzen, Bäume oder Schwimmer, die ihre Köpfe aus dem Wasser strecken. Peilt er ein Auto, ein Flugzeug oder eine Eisenbahn als Zielscheibe an, hat er aber wie schon erklärt, keine Chance. Sein Strom fließt an deren Außenflächen ab in Richtung Erde. Alle, die in den Verkehrsmitteln sitzen, können das Naturschauspiel so gelassen und ruhig wie der Mann im Faradayschen Käfig bewundern.
Am sichersten seid ihr daher bei Gewitter in Autos, Flugzeugen und Eisenbahnen oder in Häusern mit Blitzableitern - auch die haben mit ihren Metalldrähten auf dem Dach einen einfachen Faradayschen Käfig. Und nicht vergessen: Auf keinen Fall im Freien umherlaufen, sonst kann euch der Blitz treffen.
Übrigens: Das Wort Blitz bedeutet nichts anderes als "Leuchten". Bis vor 250 Jahren galten Gewitter als überirdische Botschaften aus der Welt der Götter. Bei Blitzen glaubten die Griechen, die Römer und die Germanen, die Götter würden ihre funkelnden Waffen schleudern.
Ein Beitrag von Thomas Raphael in:
Isabelle Auerbach: Kriegen Eisbären eine Gänsehaut?
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